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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Verwandten - das TR verlassen hatten, waren sie eine Weile nach Castle Rock gezogen … und waren dann einfach verschwunden wie eine Wolke am Horizont oder Nebel an einem Sommermorgen.
    Sie lächelte nur ein wenig auf diesem Bild, aber das Lächeln war schwer zu deuten. Die Augen hatte sie halb geschlossen. Die Kordel ihrer Gitarre - kein Band, sondern eine Kordel - war über einer Schulter zu sehen. Im Hintergrund konnte ich einen Schwarzen erkennen, der eine Melone im absolut tödlichen Winkel auf dem Kopf trug (eines muß man Musikern lassen: Sie wissen wirklich, wie man Hüte trägt) und neben etwas stand, das wie ein Waschzuber-Baß aussah.
    Jo hatte Saras Haut in einem Milchkaffee-Ton gefärbt, vielleicht aufgrund von anderen Bildern, die sie gesehen hatte (es sind einige im Umlauf, die meisten zeigen Sara mit nach hinten gelegtem Kopf und Haaren, die fast bis zur Taille hängen, während sie ihr berühmtes sorgloses schallendes Lachen hinausbellt), obwohl keines davon farbig gewesen sein kann. Nicht um die Jahrhundertwende. Und Sara Tidwell hatte nicht nur auf alten Fotos ihre Spuren hinterlassen. Ich erinnerte mich, wie mir Dickie Brooks, der Besitzer der All-Purpose Werkstatt, einmal erzählt hatte, sein Vater behauptete, er hätte eines Tages einen Teddybär am Schießstand des Jahrmarkts von Castle County gewonnen und ihn Sara Tidwell gegeben. Sie hatte es ihm, sagte Dickie, mit einem Kuß vergolten. Laut Dickie hat es der alte Mann nie vergessen und gesagt, es wäre
der beste Kuß seines Lebens gewesen … allerdings bezweifle ich, daß er das je in Hörweite seiner Frau gesagt hat.
    Auf diesem Foto lächelte sie nur. Sara Tidwell, bekannt als Sara Lacht. Nie auf Platte festgehalten, aber ihre Songs hatten trotzdem überlebt. Einer davon, ›Walk Me Baby‹, wies bemerkenswerte Ähnlichkeit mit ›Walk This Way‹ von Aerosmith auf. Heute würde man die Dame als Afroamerikanerin bezeichnen. 1984, als Johanna und ich die Hütte kauften und uns deshalb für sie interessierten, hätte man sie eine Schwarze genannt. Zu ihrer Zeit würde man sie Negerin oder Darkie oder womöglich Farbige genannt haben. Und natürlich Nigger. Eine Menge Leute hätten sich diese Freiheit genommen. Und glaubte ich, daß sie Dickie Brooks’ Vater - einen weißen Mann - vor dem halben Castle County geküßt hätte? Nie und nimmer. Aber wer konnte es mit Sicherheit sagen? Niemand. Das war das Hinreißende an der Vergangenheit.
    »It ain’t nuthin but a barn-dance, sugar« , sang ich und stellte das Bild wieder auf den Schreibtisch. »It ain’t nuthin but a round-and-round.«
    Ich nahm die Abdeckhaube zur Hand, beschloß aber, die Maschine unbedeckt zu lassen. Als ich aufstand, fiel mein Blick wieder auf Sara, die mit geschlossenen Augen dastand und die Kordel, die ihr als Gitarrenband diente, sichtbar über der Schulter trug. Etwas an ihrem Gesicht und ihrem Lächeln war mir stets vertraut vorgekommen, und plötzlich fiel es mir ein. Sie hatte eine seltsame Ähnlichkeit mit Robert Johnson, dessen primitive Griffe hinter den Akkorden von fast jedem Song von Led Zeppelin und den Yardbirds lauerten, der jemals aufgenommen wurde. Robert Johnson, der, so wollte es die Legende, zur Wegkreuzung gegangen war und dem Teufel für sieben Jahre schnelles Leben, hochprozentigen Fusel und Straßenbabys seine Seele verkauft hatte. Und natürlich für die Unsterblichkeit in den Musikschuppen. Die er bekommen hatte. Robert Johnson, angeblich wegen einer Frau vergiftet.
     
    Am Spätnachmittag ging ich zum Laden hinunter und entdeckte eine leckere Flunder in der Eistheke. Sah ganz nach einem Abendessen aus. Ich kaufte eine Flasche Weißwein
dazu, und als ich an der Kasse in der Schlange wartete, meldete sich eine zitternde Altmännerstimme hinter mir zu Wort. »Hab’ gesehn, wie Sie gestern’ne neue Freundin gefunden ham.« Der Yankeeakzent war so breit, daß er sich fast wie eine Parodie anhörte … aber der Akzent ist eigentlich nur ein Aspekt davon; hauptsächlich, zu der Überzeugung bin ich gekommen, ist es dieser singende Tonfall - waschechte Mainer hören sich alle wie Marktschreier an.
    Ich drehte mich um und sah den alten Tattergreis, der tags zuvor auf dem Asphalt vor der Werkstatt gestanden hatte und zusammen mit Dickie Brooks Zeuge geworden war, wie ich Kyra, Mattie und Scoutie kennengelernt hatte. Er hatte immer noch den Gehstock mit dem goldenen Griff, und jetzt erkannte ich ihn. Irgendwann in den fünfziger Jahren hatte die

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