Sarah Boils Bluterbe (German Edition)
grazilen elfenbeinfarbenen und glatten Händen durch sein wunderschönes Haar.
„Ja, Reizüberflutung nennt man das.“
„Allerdings brauchen wir den Fortschritt für unsere eigene Entwicklung,“ wandte ich ein.
„Sicher, aber ob das immer gut ist, lassen wir mal dahingestellt.“
Wir bogen nach einigen Kilometern in einen kleinen Waldweg ab und näherten uns einer alten, heruntergekommenen Ruine. Das Mauerwerk war marode und es machte den Anschein, als würde es der Belastung nicht mehr lange standhalten.
An den Schießscharten, die zum Teil mit Efeu zugewachsen waren, konnte man noch erkennen, dass es einst eine spätmittelalterliche Burg gewesen sein musste. Vermutlich wurde sie während des Krieges zerstört. Lionel parkte seinen Wagen seitlich neben einer großen Kastanie und wir gingen zu Fuß weiter.
„Was genau tun wir hier?“
„Wir statten Helene einen Besuch ab. Sie hat ganz besondere Fähigkeiten und sie kann uns den genauen Aufenthaltsort von Richard sagen.“
„Helene? Wer ist Helene? Und wir gehen einfach dahin ohne uns vorher anzumelden?“
„Sie weiß auch so, dass wir kommen. Für Helene gibt es keine Zeit und keinen Raum. Helene ist sehr alt und wenn man es mit deinen Worten ausdrücken würde, dann ist sie verrückt.“
Ich blieb abrupt stehen.
„Noch ein verrückter Vampir?“
Entsetzen und Erstaunen wechselten sich mit Unverständnis ab.
„Zu Zeiten, als wir Altvampire erschaffen wurden, verteilten sich enorme Kräfte auf einige von uns. Niemand weiß, warum das so war und wie es dazu kam. Helene erhält seitdem unendliche Fluten von Informationen. Sie kann Vergangenheit und Zukunft sehen. Sie hört das gesprochene Wort eines jeden. Sie ist ein übernatürliches Netzwerk. Ähnlich wie bei einem Computer hat aber auch ihr Gehirn nur eine begrenzte Speicherkapazität. Die Informationen überfluten sie und Helene ist nicht in der Lage, diese Bilder und Gedanken ständig und immer in richtige Bahnen zu lenken. Man kann es sehr schwer erklären.“
Ich überlegte.
„Dann sind ihre Infos doch wertlos.“
„Nicht ganz, sie kann sich zeitweilig auf eine Sache konzentrieren, das strengt sie jedoch enorm an. Um sich zu schützen, lebt sie hier abgeschirmt im Wald unter den alten Ruinen. Fernab der lauten Straßen und vielen Menschen.“
Das wurde ja immer ominöser. Ich sollte mir Rat bei einer verrückten Dämonin holen, die ihre Sinne nicht mehr bei sich hatte, weil sie durch Massenvisionen zum Wahnsinn getrieben wurde und in einem Erdloch wohnt.
Klasse, das hat mir gerade noch gefehlt.
Lionel bediente sich ungefragt an meinen Gedanken und ehe ich dazu etwas sagen konnte, korrigierte er mich: „Sie ist nicht wahnsinnig. Sie kann nur nicht an der Erdoberfläche leben. Sie ist im Mittelalter des Verrats angeklagt worden, ihr wurde Spionage vorgeworfen. Ich vermute bei der Mutation zum Vampir haben sich diese Fähigkeiten aufs Extremste ausgebaut. Möglich, dass es eine Strafe Gottes war, man weiß es nicht. Jetzt bekommst sie Informationen ganz umsonst, nur eben in einer irren Menge.“
„Pah, du glaubst an Gott?“
„Nein, aber wenn man keine Erklärungen mehr für gewisse Geschehnisse hat, greifen wir dann nicht alle darauf zurück?“
„Hm, schon ja, aber dann müsste ich Gott fragen, warum ich bin, was ich jetzt bin und wo der Sinn liegt, dass Vampire existieren und wozu das alles hier gut sein soll.“
Meine Kopfschmerzen meldeten sich und ich verschob weitere Fragen auf einen späteren Zeitpunkt. Lionel zog mich tiefer in das innere der Ruine und blieb vor einer mit Moos bewachsenen Bodenplatte, durch die einzelne Bretter zu erkennen waren, stehen. Er hockte sich nieder und strich über die Falltür: „Hier war schon jemand vor uns, hier sind Fußspuren. Helene verlässt nicht oft ihr unteririsches Gemäuer. Da bin ich ja mal gespannt, wer der guten Helene einen Besuch abgestattet hat.“ Dann riss er mit einem Ruck an der maroden Öffnung und klappte die Luke ein Stück weit von sich auf.
„Ladys first.“
Ich beugte mich vorsichtig ein klein wenig nach vorne und war einen Blick in die dunkle Öffnung, die in die Tiefe des Erdreichs führte.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst? Das sind alte Steintrassen und es ist stockdüster dort unten. Soll ich mir die Knochen brechen?“
„Wirst du schon nicht, ich sehe genug für uns beide.“ Er schenkte mir sein vertrautes und beschützendes Lächeln.
„Meine Augen sind die Dunkelheit gewohnt und wenn du dich
Weitere Kostenlose Bücher