Sarah Boils Bluterbe (German Edition)
stehe vor einer Apokalypse? Sie würde vermutlich gleich die Jungs mit den weißen Jacken schicken und ich würde mich unter starken Beruhigungsmitteln in einer Psychiatrie wiederfinden. Ich war vollkommen wahnsinnig jemandem davon zu erzählen, also schluckte ich die nächsten Worte wieder runter und hielt meine Klappe.
„Ach Mom, ist schon gut…“
“Sprichst du von Lionel?“ Ihre Stimme klang besorgt.
Mein Atem stockte. Woher wusste sie von ihm? Sprach ich in diesem Moment wirklich mit ihr oder träumte ich auch das? Was war noch Realität und was war Illusion? Existierte ich überhaupt? Oder war ich die Fantasiegestalt und Erfindung eines Wahnsinnigen? Die Konturen meines Lebens verschwammen ins Unergründliche.
Ich stotterte: „ Was? Du kennst ihn? Woher kennst du Lionel? Was ist hier eigentlich los? Wieso weißt du davon?“
Meine Mutter schwieg einen Augenblick, unerträgliche, schmerzvolle Stille breitete umhüllte mich, wie ein schwerer Mantel aus Blei. Mit zaghafter und besorgter Stimme zugleich sagte sie: „ Sarah, ich hatte immer gehofft, dass es nie soweit kommen würde. Doch scheinbar waren alle Sicherheitsvorkehrungen die wir getroffen hatten, umsonst.“
Was für Vorkehrungen? Und was bedeutet wir?
Ich sah vor meinem geistigen Auge die Gestalt, die behauptet hatte, mein Vater zu sein und in mir brannte eine Frage wie glühende Kohlen, die plötzlich zu einer großen Flamme empor schossen: „Ist mein Vater wirklich bei einem Autounfall ums Leben gekommen?“
Tödliches Schweigen. Ich hörte sie kaum atmen. Die Spannung zwischen uns war unerträglich. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich zu erzählen begann.
„Du erinnerst dich doch sicher, dass ich, bevor du geboren wurdest, in einer Bibliothek gearbeitet habe. Manchmal habe ich ganze Nächte dort verbracht. Ich liebte meine Arbeit und zuhause wartete niemand auf mich. Eines Nachts, ich hatte den letzten Bus verpasst, lief ich zum nächsten Taxistand, doch es war kein Wagen in Sicht. Die Straßen waren wie ausgestorben. Regen prasselte unaufhörlich auf den grauen Asphalt, es war dunkel und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
Hinter einer Häuserwand trat plötzlich ein Gestalt hervor. Sie ging langsam auf mich zu. Die Umrisse eines jungen Mannes wurden deutlicher und ich dachte, er bräuchte in jener Nacht auch ein Taxi. So machte ich mir keine Gedanken über ihn. Doch eh ich mich versah, stand er dicht hinter mir, hielt er mir ein Messer an den Hals und drohte, er würde mir die Kehle aufschlitzen, wenn ich ihm nicht sofort mein Geld und meinen Schmuck geben würde.“
Sie stockte einen Moment. Ich schluckte schwer. Sie hatte mir nie davon erzählt. Zwischen Mitgefühl und Zerrissenheit um meiner selbst willen, bat ich sie fortzufahren. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Stimme klang belegt und ich konnte durch das Telefon hören, dass sie mit den Tränen rang. Als sie jedoch von einem weiteren Fremden berichtete, wurde ihre Stimme wieder klarer und Euphorie machte sich bemerkbar.
„Ein zweiter Mann tauchte aus dem Nichts auf, wie ein Schatten, plötzlich war er da. In Windeseile packte er meinen Angreifer und schlug ihm das Messer aus der Hand und verscheuchte ihn mit einem Faustschlag ins Gesicht. Ich weiß noch genau, wie schnell mein Herz vor Angst schlug, denn der Angreifer flog meterweit durch die Luft. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Mein Retter stand vor mir und blickte mich einfach nur an. Er hatte eine wundervolle beruhigende Stimme. Und in seiner Nähe fühlte ich mich unerklärlich sicher, als würde ich ihn schon ewig kennen, als hätte es ihn schon immer in meinem Leben gegeben. Schließlich brachte er mich dann nach Hause. Die Tage danach tauchte er immer mal wieder in der Bibliothek auf und sah nach mir, fragte, ob es mir gut gehen würde. Eines Abends lud er mich zum Essen ein.“
Ich hörte aufmerksam zu. Meine Mutter hatte um meinen Vater immer ein großes Geheimnis gemacht. Jedes Mal, wenn ich sie nach ihm gefragt hatte, glänzten ihre Augen und ihre Stimme versagte. Ich dachte immer, auf Grund des Unfalls säße der Schmerz zu tief, irgendwann als ich alt genug war, um zu verstehen, fragte ich nicht mehr. Heute war der Moment der Wahrheit und ich verschlang mit den Ohren jedes ihrer Worte. Saugte es regelrecht in mich auf. Die Laute ihrer Worte klangen unerwartet euphorisch, fast schon eine Spur zu hektisch.
„Und dann verliebten wir uns. Wir konnten beide nichts dagegen tun. Wenn er mich
Weitere Kostenlose Bücher