Sarah Maclean
Frack, schwarze Ho-
sen und eine faltenlose weiße Weste. Sein Krawattentuch war
perfekt gestärkt, seine Stiefel glänzten, als wäre er auf irgend-
einem Zauberpfad in die Oper gelangt und nicht über Londons
schmutzigen Straßen. Er war ohne Fehl und Tadel. Das heißt,
bis man die Anspannung in seinen Schultern bemerkte, die ge-
ballten Fäuste, den winzigen Muskel, der an seinem Kinn zuck-
te, während er zusah, wie seine Schwester sich auf Londons
gesellschaftlichem Parkett bewegte. Offensichtlich war er zum
Kampf bereit, um sicherzustellen, dass sie an diesem Abend ak-
zeptiert wurde.
Als hätte er ihre Aufmerksamkeit gespürt, drehte Ralston
sich zu Callie um. Sie atmete scharf ein, als sich ihre Blicke tra-
fen und seine glitzernden, so undurchdringlichen blauen Augen
sie gefangen nahmen. Fast unmerklich neigte er den Kopf. Sie
verstand sofort, was er damit ausdrücken wollte. Danke.
Sie neigte ebenfalls den Kopf.
Da sie nicht sicher war, ob sie ihre Gefühle würde verbergen
können, wandte sie sich ab und starrte stattdessen blicklos ins
Publikum, voll Ungeduld, dass die Oper endlich anfangen und
sie von Raistons Nähe ablenken möge.
Die Vorstellung hätte schon vor einer halben Stunde begin-
nen sollen, doch leider kam die Gesellschaft in den seltensten
Fällen wegen der Oper ... vor allem nicht in der Eröffnungs-
nacht. Nein, in die Oper ging man, um zu sehen und gesehen zu
werden, und die Betreiber des Opernhauses wussten genau, wie
sie ihr Publikum zufriedenstellen konnten.
Callie sah zu Juliana, betrachtete die junge Frau voll Stolz,
als diese anmutig mit der Dowager Duchess plauderte und
die ältere Dame vor den Augen von ganz London zum Lachen
brachte. Perfekt.
„Sie wirken recht zufrieden mit sich."
Erregung durchzuckte sie, als sie die volltönende Stimme so
nah am Ohr hörte. Sie zwang sich zur Ruhe, begegnete Raistons
Blick und sagte: „Allerdings, Mylord. Ihre Schwester schlägt
sich sehr gut, finden Sie nicht auch?"
„Ja. Der Abend hätte nicht besser arrangiert werden kön-
nen.
„Es war Marianas Idee, Rivingtons Loge zu nehmen. Unsere
Schwestern sind anscheinend die besten Freundinnen gewor-
den."
„Was größtenteils auf Ihre Initiative hin geschehen ist, könn-
te ich mir vorstellen."
Callie bestätigte das mit einem Nicken.
„Gut gemacht."
Sie zügelte das Bedürfnis, sich ob dieses Lobs in die Brust zu
werfen, und dann verkündete ein Gong den Beginn der Auffüh-
rung. Darauf verabschiedeten sich die Besucher in der Loge,
und Ralston bot Callie den Arm. „Darf ich Sie zu Ihrem Stuhl
geleiten, Lady Calpurnia?"
Callie legte die Hand auf seinen Arm und ließ sich zum
Stuhl führen, versuchte dabei das prickelnde Gefühl zu igno-
rieren, das sie bei seiner Berührung durchfuhr. Dies war ihre
erste Begegnung seit dem Abend in der Schenke. In der Kut-
sche. Die erste Berührung, seit sie in seinen Armen gelegen
hatte.
Sobald sie neben Benedick saß, nahm Ralston auf ihrer an-
deren Seite Platz. Seine Nähe drohte ihre Sinne zu überwälti-
gen. Sie fühlte sich umhüllt von seinem Duft, einer Mischung
aus Sandelholz, Zitrone und irgendetwas durch und durch
Männlichem. Sie widerstand der Versuchung, sich zu ihm zu
beugen und tief einzuatmen. Das würde sich ganz und gar
nicht gehören.
Sie suchte nach einem Gesprächsthema, das sie von seiner
Nähe ablenken würde. „Mögen Sie die Oper, Mylord?"
„Nicht besonders." Sein Ton war gleichgültig.
„Das überrascht mich", erwiderte sie. „Ich stand unter dem
Eindruck, dass Sie Musik lieben. Schließlich besitzen Sie ein
Pianoforte ..." Sie unterbrach sich und sah sich verstohlen in
der Loge um, ob ihnen von den anderen jemand zuhörte.
Er hob eine Augenbraue und sagte trocken: „Allerdings, Lady
Calpurnia."
Der Mann verspottete sie. Sie hatte nicht vor, sich provozie-
ren zu lassen. „Nun, heutzutage hat ja jeder ein Pianoforte."
Sie wich seinem Blick aus und fuhr hastig fort: „Die Auffüh-
rung heute Abend soll unvergleichlich sein. Der Barbier von
Sevilla ist eine wunderbare Oper. Ich liebe Rossini sehr. Und ich habe gehört, dass die Sängerin der Rosina einfach brillant sein
soll. Ich kann mich im Augenblick nicht an ihren Namen erin-
nern ..." Sie hielt inne, froh, dass sie sich nun auf sichererem
Boden befand.
„Kritikos. Nastasia Kritikos", steuerte er bei.
Die Worte überrollten sie. Nastasia. Sie begriff.
Ich wollte das nicht schwieriger
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