Sarah Maclean
einem Räuspern lenkte Wingate die Aufmerk-
samkeit der anderen auf sich. „Ich werde mich jetzt verabschie-
den, falls die Herren mich nicht mehr benötigen." Der Anwalt
sah von Nick zu Ralston, sichtlich erpicht darauf, entlassen zu
werden.
„Sie können gehen, Wingate", sagte Ralston kühl. „Tatsäch-
lich kann ich es kaum erwarten."
Der Anwalt empfahl sich, verbeugte sich eilig, als hätte er
Angst, nie mehr zu entkommen, wenn er jetzt zu lang zöger-
te. Sobald er draußen war, sagte Nick beruhigend zu Juliana:
„Lassen Sie sich von Gabriel nicht hinters Licht führen. Er ist
nicht ganz so schlimm, wie es scheint. Nur an manchen Tagen
benimmt er sich, als würde ihm weit und breit alles gehören."
„Ich glaube, das tut es auch, Nicholas", meinte Ralston tro-
cken.
Nick zwinkerte seiner Schwester zu. „Vier Minuten älter,
und er kann nicht anders, als mir das dauernd unter die Nase
zu reiben."
Juliana lächelte Nick matt zu und richtete dann ihren klaren
Blick auf ihren älteren Bruder. „Mylord, ich würde gern gehen."
Gabriel nickte. „Sehr verständlich. Ich lasse Ihre Sachen in
eines der Zimmer oben bringen. Bestimmt sind Sie erschöpft
von der Reise."
„Nein, Sie verstehen nicht. Ich möchte England verlassen und
nach Venedig zurückkehren." Als darauf weder Gabriel noch
Nick etwas erwiderten, fuhr sie fort, wobei sie ihre Worte mit
den Händen unterstrich. Je emotionaler sie wurde, desto stär-
ker wurde ihr Akzent. „Ich versichere Ihnen, ich kann nicht
verstehen, warum mein Vater darauf bestand, dass ich hierher-
komme. Ich habe Freunde zu Hause, die mich gern bei sich will-
kommen ..."
Gabriel unterbrach sie entschlossen. „Sie bleiben hier."
„Mi scusi, Mylord, lieber nicht."
„Ich fürchte, Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig."
„Sie können mich nicht hier festhalten. Ich gehörte nicht
hierher. Nicht zu Ihnen ... nicht nach ... England." Sie spuck-
te die Worte förmlich aus, als hätten sie einen ekelhaften Ge-
schmack.
„Sie vergessen, dass Sie eine halbe Engländerin sind, Ju-
liana", sagte Nick amüsiert.
„Niemals! Ich bin Italienerin!" Ihre blauen Augen blitzten.
„Und Ihre Persönlichkeit beweist es, Kätzchen", meinte Gab-
riel gedehnt. „Aber Sie sind das Abbild unserer Mutter."
Juliana sah zu den Wänden empor. „Abbild? Unserer Mutter?
Wo denn?"
Nick lachte leise, entzückt von dem Missverständnis. „Nein.
Bilder gibt es von ihr hier nicht. Gabriel meinte, dass Sie wie
unsere Mutter aussehen. Genau wie sie sogar."
Juliana zerteilte die Luft mit der Hand. „Sagen Sie so et-
was nie wieder. Unsere Mutter war eine ..." Sie unterbrach
sich, doch das unausgesprochene Schimpfwort hing schwer im
Raum.
Raistons Lippen verzogen sich zu einem reuigen Lächeln.
„Anscheinend haben wir einen Punkt gefunden, in dem wir
vollkommen übereinstimmen."
„Sie können mich nicht zum Bleiben zwingen."
„Ich fürchte doch. Ich habe die Dokumente bereits unter-
schrieben. Bis zu Ihrer Hochzeit stehen Sie unter meinem
Schutz."
Sie riss die Augen auf. „Das ist unmöglich. So etwas hätte
mein Vater nie verlangt. Er wusste, dass ich nicht die Absicht
habe, je zu heiraten."
„Warum denn nicht?", erkundigte sich Nick.
Juliana fuhr zu ihm herum. „Ich hätte gedacht, dass Sie das
besser als jeder andere verstehen könnten. Ich werde die Sün-
den meiner Mutter nicht wiederholen."
Gabriels Augen verengten sich. „Es gibt doch keinerlei
Grund, dass Sie wie sie ..."
„Sie werden mir nachsehen müssen, dass ich nicht bereit bin,
ein solches Risiko einzugehen, Mylord. Bestimmt können wir zu
einer Übereinkunft kommen?"
In diesem Augenblick fiel Gabriels Entscheidung.
„Wie gut haben Sie unsere Mutter denn gekannt?"
Juliana stand stolz und aufrecht da und begegnete Raistons
Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Sie hat uns vor beinahe
zehn Jahren verlassen. Soweit ich weiß, war es bei Ihnen genau-
so?"
Ralston nickte. „Wir waren noch nicht einmal zehn."
„Dann nehme ich an, dass wir alle nicht besonders gut auf sie
zu sprechen sind."
„Allerdings nicht."
Einen langen Augenblick standen sie sich so gegenüber, ver-
suchten zu beurteilen, wie ernst es dem anderen war. Gabriel
ergriff als Erster das Wort. „Darüber lasse ich nicht mit mir
verhandeln. Sie werden zwei Monate bleiben. Wenn Sie sich
danach entschließen, doch lieber nach Italien zurückkehren zu
wollen, werde ich es
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