Sarah Maclean
wird
aber nicht davon erfahren."
„Sie glauben doch wohl nicht, dass ich ihr davon erzählen
würde", sagte Anne empört. „Ich wäre meine Stellung los, noch
bevor ich alles gesagt hätte!"
„Nicht wenn sie zuvor einen Krampfanfall bekommen wür-
de", scherzte Callie.
Es war später Nachmittag, und Callie und Anne hatten sich in
Callies Schlafzimmer zurückgezogen, um den nächsten Punkt
auf ihrer Liste vorzubereiten - Fechten.
Callie hatte sich einen ausgefeilten Plan überlegt, wie sie Zu-
tritt zu Benedicks Fechtclub bekommen könnte: Sie wollte dort
in der Verkleidung eines jungen Stutzers auftreten, der frisch
von der Universität kam und auf der Suche nach einer Sport-
möglichkeit war. Nach eifrigem Üben konnte sie ihre Stimme
recht gut verstellen, und sie hatte sogar eine Geschichte für
ihre Figur entwickelt - Sir Marcus Breton, ein Baronet aus dem
Lake District. Außerdem hatte sie Anne angewiesen, ein paar
alte Kleider aus Benedicks Schrank zu stibitzen, einschließlich
eines Fechtanzugs, den ihr Bruder nicht vermissen würde. Die
Frauen hatten eine Woche gebraucht, die Kleider für Callie zu
ändern.
Sie trug bereits eine neue Kniehose, die, wie sie einräumen
musste, überraschend bequem war, auch wenn sie sich dabei
äußerst unschicklich fühlte. Dazu hatte sie dicke Strümpfe und
ein Paar Stiefel an, die sie bei einem Stalljungen gegen ein klei-
nes Bestechungsgeld ausgeliehen hatten.
Während sie sich von Anne in Leinen wickeln ließ, wollte
Callie lieber gar nicht erst an die absolute Demütigung denken,
die ihr bevorstand, wenn sie an einem von Londons männlichs-
tem Ort als verkleidete Frau ertappt wurde. Sie war schon zu
weit gekommen, um jetzt noch aufzuhören.
Anne steckte den Zipfel unter ihrem Arm fest, worauf Cal-
lie tief durchatmete, die Liste nahm und unter die Leibbinde
steckte. Ohne ihren Talisman wollte sie das Haus nicht verlas-
sen, vor allem nicht auf dieser speziellen Mission. Dann nahm
sie ein bauschiges Leinenhemd, zog es sich über den Kopf und
steckte es im Hosenbund fest. Sie drehte sich zu Anne um und
fragte: „Na, kann man erkennen, dass ich eine Dame bin?"
Anne hob nur eine Augenbraue, und Callie verbesserte sich:
„Also gut. Kann man erkennen, dass ich eine Frau bin?"
„Ja."
„Anne!" Callie rannte zum Spiegel. „Wirklich?"
„Vollenden wir doch erst einmal die Verwandlung, danach se-
hen wir weiter", sagte die Zofe sachlich.
„Na schön." Callie ließ sich von Anne ein Krawattentuch bin-
den, das entfernt an eines der kunstvollen Gebilde erinnerte,
die momentan in Mode waren. Dann zog sie eine beigefarbene
Weste über, schlüpfte in einen dunkelgrünen Rock und setzte
sich an den Frisiertisch, um sich von Anne das Haar verstecken
zu lassen. „Schade, dass ich Sie auf dem Heimweg nicht bei mir
habe. Wie soll ich mich nur an all das erinnern?"
„Ach, Sie werden sich schon erinnern. Müssen Sie ja."
Callie schluckte und beobachtete im Spiegel, wie die Zofe
ihr den Hut auf den Kopf setzte und sorgfältig jede vorwitzige
Strähne darunterschob. „Den können Sie erst abnehmen, wenn
Sie die Fechtmaske aufsetzen."
„Ich setze ihn nicht ab, darauf können Sie sich verlassen."
Vorsichtig schüttelte Callie den Kopf, ob der Hut auch fest saß.
„Wird er an Ort und Stelle bleiben?"
Anne öffnete den Mund, um zu antworten, doch im nächsten
Augenblick klopfte es, und dann ging die Tür auf.
„Callie? Mutter hat gesagt, dass es dir nicht gut geht. Kann
ich irgendetwas für ..." Marianas Frage endete mit einem lau-
ten Schrei, als sie den Mann im Schlafzimmer ihrer Schwester
entdeckte.
Sofort wurden Callie und Anne lebendig, sprangen auf und
liefen zu Mariana. Anne schloss die Schlafzimmertür, stellte
sich mit dem Rücken dagegen und streckte die Arme aus, um
zu verhindern, dass Mariana hinausrannte. Callie wandte sich
an ihre Schwester, die angesichts des fremden Mannes immer
nur panisch den Kopf schüttelte.
„Psst. Mariana! Du hetzt uns noch das ganze Haus auf den
Hals!"
Bei diesen Worten legte Mariana den Kopf schief, und Callie
wartete, bis ihre Schwester begriffen hatte. „Wie kommst du
dazu, dich so anzuziehen?", flüsterte Mariana.
„Die Sache ist ziemlich kompliziert", erwiderte Callie aus-
weichend.
„Lieber Gott!", fuhr Mariana mit weit aufgerissenen Augen
fort. „Das ist ja unglaublich! Als ich reinkam, dachte ich tat-
sächlich, du wärst ein Mann!"
„Ist mir durchaus
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