Sarah Maclean
dein
Herz nicht lang gebrochen bleiben wird."
Sie begegnete seinem unergründlichen Blick - ihre langjäh-
rige Erfahrung als Geliebte von Adeligen verriet ihr offenbar,
dass sie Ralston verloren hatte. Er beobachtete, wie sich diese
Erkenntnis auf ihrem Gesicht malte, sah auch die Berechnung,
als sie ihren nächsten Schritt überlegte. Sie konnte ihm eine
Szene machen, aber sie wusste auch, dass ein reicher Marquess,
der mit einer ausländischen Opernsängerin im Streit lag, in den
Augen des ton immer im Recht war.
Sie lächelte. „Mein Herz ist unverwüstlich, Ralston."
Er neigte den Kopf, bestätigte, dass sie sich geschlagen gab.
„Du weißt natürlich, dass eine solche Frau nichts von der
Welt weiß, in der du und ich leben."
Er konnte nicht widerstehen. „Was soll das heißen?"
„Sie wird Liebe wollen. Frauen wie sie wollen geliebt wer-
den."
„Mich interessiert nicht, an welche Märchen diese Frau
glaubt, Nastasia. Für mich ist sie nichts weiter als die Begleite-
rin meiner Schwester."
„Vielleicht", meinte Nastasia nachdenklich. „Aber was bist
du für sie?" Als er nicht antwortete, lächelte sie schief. „Du ver-
gisst, dass ich den besten Platz im Opernhaus habe."
Ralston stand auf, strich angelegentlich Krawattentuch und
Rock glatt, ehe er Hut, Handschuhe und Mantel von der Chai-
selongue aufhob, auf der er sie beim Hereinkommen abgelegt
hatte. Er zog Nastasias Briefchen heraus und legte es auf die
Frisierkommode. Dann drehte er sich zur Opernsängerin um,
verbeugte sich tief und verließ den Raum.
Und das alles tat er, ohne ein einziges Wort zu sagen.
Wie kann er es nur wagen, mich als feige zu bezeich-
nen!"
Wütend stürmte Callie in ihrem Schlafzimmer auf
und ab. Vor einer Stunde war sie nach Hause gekommen, war in
dieser Zeit aber noch nicht iange genug zur Ruhe gekommen,
dass Anne ihr beim Auskleiden hätte helfen können.
Stattdessen hatte sich die Zofe einfach ans untere Ende von
Callies Bett gesetzt und sah nun zu, wie ihre Dienstherrin durch
den Raum lief. „Ich bin mir nicht sicher", meinte Anne trocken,
„vor allem wenn man überlegt, wie Sie versucht haben, ihm in
der Öffentlichkeit eine Ohrfeige zu verpassen."
Callie entging Annes Belustigung, sie erfasste nur ihre Worte,
warf wütend die Hände in die Luft und sagte: „Genau! Daran
ist doch nichts Feiges!"
„Besonders damenhaft ist es allerdings auch nicht."
„Ja, na gut, aber darum geht es ja nicht", meinte Callie. „Jetzt
geht es darum, dass Gabriel St. John, Marquess of Ralston, sich
mir in der Öffentlichkeit genähert hat, als er unterwegs war zu
seiner Geliebten, und es fertiggebracht hat, mich ins Unrecht
zu setzen." Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Wie kann er es nur wagen, mich feige zu nennen!"
Anne konnte das Lächeln nicht unterdrücken. „Um der Ge-
rechtigkeit die Ehre zu geben - es klang, als hätten Sie ihn pro-
voziert."
Callie blieb stehen und drehte sich ungläubig zu ihrer Zofe
um. „Für jemanden, der vor wenigen Tagen noch furchtbar
besorgt war, dass mein Ruf wegen eines Wirtshausbesuchs
Schaden nehmen könnte, sind Sie ja jetzt erstaunlich schnell
bei der Hand, sich auf Raistons Seite zu schlagen. Sie sollen
mich verteidigen!"
„Und das werde ich auch, bis ans Ende der Zeit, Lady Cal-
purnia. Aber Sie sind auf der Suche nach Abenteuern, und Sie
müssen zugeben, dass Ralston Ihnen genau das gibt, wonach
Sie suchen."
„Ich habe ganz bestimmt nicht darauf gewartet, dass er mich
davonschleppt und in der Öffentlichkeit küsst!"
Anne hob ungläubig eine Augenbraue. „Dann haben Sie es
nicht genossen?"
„Nein!"
„Gar nicht?"
„Kein bisschen."
„Hmm, hmm." Die Zofe klang nicht sehr überzeugt.
„Überhaupt nicht."
„Ja, ja, ich habe es gehört." Anne stand auf, drehte Callie zur
Frisierkommode und machte sich daran, die lange Knopfreihe
im Rücken zu lösen.
Ein paar Minuten standen sie schweigend da, bis Callie end-
lich einräumte: „Na gut, ein kleines bisschen hat es mir viel-
leicht doch gefallen."
„Ah, ein kleines bisschen."
Callie seufzte und drehte sich um, obwohl Anne immer noch
mit ihren Knöpfen beschäftigt war. Die Zofe setzte sich wieder
aufs Bett, während Callie ihren Marsch wieder aufnahm.
„Also schön. Mehr als nur ein bisschen. Ich habe es maßlos
genossen, genau wie die anderen Male, als er mich geküsst hat."
Sie fing den überraschten Blick ihrer Zofe auf und fügte hin-
zu: „Ja, es hat
Weitere Kostenlose Bücher