Sarah Maclean
Stimme zitterte.
„Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war das noch mein
Fechtclub! Ein Fechtclub für Männer! Sie waren, als ich letztes
Mal nachgesehen habe, eine Frau! Und Frauen fechten nicht!"
„Da kann ich Ihnen nicht widersprechen", meinte sie auswei-
chend.
„Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen? Wo zum Teufel ist
Ihr Verstand geblieben?"
Callie rümpfte die Nase, ganz als säße sie nicht vor ihm auf
dem Boden, in Märmerkleidung und in einer Situation, die sich,
wenn sie sich nicht täuschte, als ihr Ruin erweisen würde. „Ich
würde es vorziehen, wenn Sie sich einer anderen Sprache be-
fleißigen würden."
„Sie würden das vorziehen? Nun, ich würde es vorziehen,
wenn Sie sich nicht in meinem Fechtclub herumtreiben wür-
den, zum Kuckuck! Und wenn wir schon beim Thema sind,
auch nicht in meinen Wirtshäusern und meinem Schlafzimmer!
Aber anscheinend wird keiner von uns das bekommen, was er
sich wünscht." Er hielt inne. „Um Himmels willen, Weib, liegt
es in Ihrer Absicht, sich gesellschaftlich völlig unmöglich zu
machen?"
Bei diesen Worten stiegen Callie die Tränen in die Augen.
„Nein", flüsterte sie mit brechender Stimme. Sie wandte den
Blick ab, wünschte sich plötzlich weit fort von diesem Ort, von
ihm.
Angesichts ihrer Tränen fluchte er verhalten in sich hinein.
Er hatte sie nicht aus der Fassung bringen wollen. Im Grun-
de hatte er ihr nur Angst machen wollen, damit sie mit diesen
verdammten Dummheiten aufhörte; zum Weinen hatte er sie
bestimmt nicht bringen wollen. Sein Ton wurde weicher. „Was
dann?" Als sie nicht antwortete, drängte er schmeichelnd:
„Callie."
Sie sah ihn noch einmal an und schüttelte den Kopf. Dann
atmete sie tief durch und sagte: „Sie verstehen nicht."
Wieder fixierte er sie mit seinem Blick und setzte sich dann zu
ihr auf den Boden, so nahe, dass sein Knie ihren verletzten Arm
stützte. „Erklären Sie es mir", forderte er sie energisch auf.
„Eigentlich ist alles in Ordnung, wissen Sie", sagte Callie
leichthin, obwohl das, was sie sagte, von immenser Bedeutung
war. „Es ist so ... selbst jetzt, wo ich mit dem gesellschaftlichen
Ruin konfrontiert bin, mit Ihrem Zorn und meiner Furcht, und
mir meine Wunde nicht geringe Schmerzen verursacht - nicht
dass Sie sie nicht wunderbar verarztet hätten, verstehen Sie
mich da nicht falsch, Mylord." Er nahm das Lob mit einem Ni-
cken entgegen. „Trotz alledem", fuhr sie fort, „erlebe ich heute
einen der schönsten Tage meines Lebens."
Sie sah die Verwirrung in seinem Blick, und sie bemühte sich,
es noch klarer auszudrücken. „Sehen Sie, heute fühle ich mich
zum ersten Mal richtig lebendig."
„Lebendig?"
„Ja. Achtundzwanzig Jahre habe ich damit zugebracht, die
Erwartungen der anderen zu erfüllen ... so zu sein, wie es die
anderen von mir erwarten. Und es ist so schrecklich, das eige-
ne Leben nach fremden Erwartungen zu gestalten." Sie machte
eine Pause. „Sie hatten recht. Ich bin feige."
Bei diesem leidenschaftlichen Geständnis wurde sein Blick
weich. „Ich bin ein Esel. Ich hätte das nicht sagen sollen."
„Das sind Sie nicht!"
„Ich glaube, so ganz kann ich Ihnen da nicht zustimmen. Fah-
ren Sie fort."
„Ich bin nicht verheiratet, habe keine Kinder, bin kein wich-
tiges Mitglied der Gesellschaft." Sie fuchtelte mit ihrem unver-
letzten Arm herum, als läge das Leben, das sie beschrieb, drau-
ßen vor der Tür. „Mich nimmt ohnehin niemand wahr. Wieso
also nicht damit aufhören, ein zauderndes Mauerblümchen zu
sein, und endlich all die Dinge in Angriff nehmen, von denen
ich immer geträumt habe? Warum nicht in Wirtshäuser gehen,
Whisky trinken und fechten? Ich muss zugeben, dass all diese
Dinge weitaus interessanter waren als die schrecklichen Teege-
sellschaften, Bälle und Stickereien, mit denen ich mir bisher die
Zeit vertrieben habe." Sie sah ihn an. „Verstehen Sie, was ich
meine?"
Er nickte ernst. „Ja. Sie versuchen, die wahre Callie zu fin-
den."
Ihre Augen weiteten sich. „Ja! Irgendwo unterwegs habe ich
Callie verloren. Vielleicht habe ich sie nie gehabt. Aber heute
habe ich sie gefunden."
Er lächelte reuig. „Callie ist eine Fechterin?"
Sie erwiderte das Lächeln. „Callie ist viele Dinge, Mylord. Ich
habe sie auch im Wirtshaus gefunden."
„Ah", sagte er wissend. „Dann ist Callie eine Lebedame."
Sie errötete. „Das glaube ich nicht."
Stille breitete sich zwischen ihnen aus, und er
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