Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom
seine Heimatstadt. Nach einem Jahr London kehrte er zurück nach Wien, half im Unternehmen seines Vaters aus und stieg nach Beendigung des Studiums ganz ein. Seine Schwester bekam einen wohlhabenden Ehemann und eine Boutique auf der Kärntnerstraße. Niemand fragte nach, ob Romy damit zufrieden war. Sie gab das Geld ihres Mannes aus, lud ihre Freundinnen regelmäßig zu Modenschauen nach Mailand oder Paris ein und wechselte halbjährlich ihre Liebhaber. Philipps Schwager Oliver schien das nichts auszumachen. Philipp vermutete, dass der Grund dafür im Desinteresse an seiner Schwester lag. Wahrscheinlich gaben sich bei Oliver die Damen ebenfalls die Klinke in die Hand. Philipp verstand das Leben seiner Schwester nicht, mischte sich jedoch nicht ein.
Die Tür wurde aufgerissen, und Katrin Niedler, Philipps Sekretärin, trat ein, gefolgt von Doris Heinlein, der Sekretärin seines Vaters.
Doris Heinlein wirkte sehr aufgeregt. Eine Strähne hatte sich aus ihrem Haarband gelöst, sie strich sie unentwegt aus den Augen, dabei hätte sie dieses Problem doch ganz leicht anders lösen können, war Philipp sich sicher. Es machte ihn aggressiv, wenn sich in seiner Gegenwart jemand ständig die Haare aus dem Gesicht strich. Deshalb konzentrierte er sich darauf, seine Sekretärin anzuschauen. Neben der zierlichen Katrin wirkte Doris Heinlein derb, obwohl sie das nicht war.
» Entschuldigen Sie, dass ich so hereinplatze, Herr Doktor Brand « , begann Doris Heinlein. » Aber … ich hätte ja nicht … aber er hat heute einen sehr wichtigen Termin. «
Sie wedelte mit dem Terminkalender durch die Luft.
Jetzt stand Philipp Brand auf. » Was ist denn los? «
» Wissen Sie, wo Ihr Vater ist? «
» Wieso sollte ich wissen, wo mein Vater ist? Ist er denn nicht in seinem Büro? « Erst als er die Frage gestellt hatte, bemerkte er, wie einfältig sie war. Wenn sein Vater in seinem Büro säße, käme seine Sekretärin ja wohl kaum zu ihm. Er sah auf die Uhr. Es war halb neun. Sein Vater war in der Regel schon um sieben da.
» Nein. Das ist es ja. Er ist nicht da. Und im Konferenzzimmer wartet Benjamin Weber. Er war um acht mit Ihrem Vater verabredet. Jetzt ist es halb neun. « Sie ließ den Terminkalender sinken.
Das war allerdings mehr als ungewöhnlich für seinen Vater. Oskar Brand war niemals zu spät, er versäumte keine Termine, er lebte für die Firma, sie war seine Mission, sein ganz persönlicher Grund, auf dieser Welt zu sein. Nicht die Familie, nicht die Freunde, nicht das Vergnügen, sondern die Arbeit, das Unternehmen, der Erfolg.
» Am Handy haben Sie ihn auch nicht erreicht? « , fragte Philipp Brand.
» Nein, da kam ich sofort auf die Mailbox. «
Einem Impuls folgend, als ob er sich selber davon überzeugen müsste, dass sein Vater nicht da war, ging Philipp hinüber in dessen Büro. Der Schreibtisch war leer: keine Papiere, keine Akten, keine Notizen. Der Bildschirm des Computers war schwarz. Er griff zum Telefon, wählte die Handynummer seines Vaters und gelangte ebenfalls sofort auf die Mailbox. Auch das war ungewöhnlich, denn Oskar Brand legte großen Wert darauf, immer erreichbar zu sein. Philipp sah durchs Fenster, von wo aus man den großen Firmenparkplatz gut überschauen konnte. Sein Blick wanderte nach oben. Dichte Wolken am Himmel, der Tag war grau in grau, und es sah nach Regen aus.
» Sein Wagen steht nicht unten « , hörte er Doris Heinlein sagen. Er drehte sich zu ihr um.
Sie strich sich nervös mit beiden Händen über ihren dunkelblauen Rock. » Ich habe auch schon nachgesehen. «
In diesem Augenblick realisierte Philipp Brand, dass er sowohl seinen Vater als auch den Wagen seines Vaters das ganze Wochenende über nicht gesehen hatte. Es war ihm nicht aufgefallen, denn es kam häufig vor, dass sein Vater verschwand, ohne Bescheid zu geben. Sie arbeiteten zwar miteinander, doch sie lebten getrennte Leben. Philipp wohnte mit seiner Familie im Erdgeschoss der Familienvilla im Nobelbezirk Hietzing, der Vater residierte im selben Haus im oberen Stockwerk.
Langsam wurde Philipp unruhig. Dem Vater würde doch nichts zugestoßen sein?
» Was soll ich denn jetzt mit dem Herrn Weber machen? Der sitzt noch immer im Konferenzzimmer. «
» Herr Magister Levic soll einspringen und den Termin übernehmen. Er ist sicher eingearbeitet. «
Ohne ein weiteres Wort der Erklärung verließ Philipp Brand sein Büro. Die beiden Sekretärinnen starrten ihm hinterher.
Als er im Auto saß, wurde ihm schlagartig
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