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Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom

Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom

Titel: Sarah Pauli 03 - Tod hinter dem Stephansdom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maxian
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KÜNSTLERIN
    D as Wochenende war gekommen und vorübergegangen.
    Die Genugtuung, den ersten Schritt gewagt zu haben, war geblieben. Sie hatte die Zeit damit verbracht, Zeitungen zu lesen. Jede Zeitung, die ihr zwischen die Finger kam, hatte sie von vorne bis hinten durchgeblättert. Außerdem hatte sie die Nachrichten im Fernsehen und Radio verfolgt und schließlich zufrieden festgestellt, dass Oskar Brands Leiche weder am Samstag noch am Sonntag gefunden worden war. Ob ihn niemand vermisste oder ob man ihn aus anderen Gründen noch nicht gesucht hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Tatsache war, dass er am Wochenende offenbar niemandem von der Familie abgegangen war. Das war gut. Es bedeutete, dass er noch auf seinem Totenbett lag. So hatten die Würmer und Asseln länger Zeit, sein Gesicht in eine Fratze zu verwandeln und das Innere nach außen zu kehren. Und ihr blieb länger Zeit, den nächsten Schritt in Ruhe vorzubereiten.
    Sie wusste noch nicht, ob sie das nächste Mal auf die gleiche Art töten wollte. Sie hatte auch noch nicht entschieden, ob und, wenn ja, wem sie erzählen wollte, warum sie es tat. Fakt war: sie würde es wieder tun. Und irgendwann musste sie jemandem eine Erklärung abgeben, damit ihre Tat verstanden wurde.
    Das alles ging ihr durch den Kopf, während sie dastand und auf das Gemälde starrte, das vor ihr an der Wand hing. Sie versank förmlich darin. Das tat sie immer, wenn ihr etwas gefiel. Sie versank in Situationen, in Gesprächen, in Menschen, in Kunstwerken. Deshalb gehörte es zu ihren Gewohnheiten, regelmäßig in Museen zu gehen, insbesondere ins Belvedere.
    An diesem Spätnachmittag schenkte sie ihre volle Aufmerksamkeit einem ganz bestimmten Gemälde: Die Braut.
    Das hatte mehrere Gründe. Sie mochte das unfertige Menschenknäuel auf diesem Bild. Sie mochte Gustav Klimt, weil er ein großer Erotiker war. Er ließ sich von der Schönheit der Frauen inspirieren. Er schaffte es, aus der Kurtisane den mondänen Vamp, die Femme fatale, die sinnliche Frau zu machen. Sie mochte dieses Bild, weil es unvollendet war. So wie das Leben. Das Leben, das ausschließlich aus unvollendeten Situationen bestand.
    Wie oft begann man zu malen, zu dichten oder eine Geschichte zu schreiben und legte das Werkzeug dann beiseite, weil man sich selbst nur für das Mittelmaß hielt? Wie oft sprach man einen Satz nicht zu Ende? Wie oft führte man eine Handlung nicht aus, obwohl man den Ablauf Hunderte Male im Kopf durchgespielt hatte? Wie oft wurde ein Mensch plötzlich durch einen Unfall, durch Krankheit, durch Selbstmord aus dem Leben gerissen … aus einem unvollendeten Leben?
    Künstler ließen durch ein unvollendetes Werk etwas von sich zurück. Ein Werk, das den Hinterbliebenen mitteilte, dass man noch nicht fertig gewesen war mit dem Leben, dass man noch Pläne, Wünsche und Hoffnungen gehabt hatte.
    Wenn ihre Mutter früher nicht mehr weiterwusste, hatte sie immer behauptet, alles habe auch seine gute Seite. Blödsinn! Sie wusste es besser. Es gab verflucht noch mal Seiten, die nicht gut waren. Und diese Seiten fraßen dich auf. Sehnsucht. Neid. Liebeskummer.
    Ein Pärchen blieb neben ihr stehen. Der Mann hatte seine Hand um die Hüfte der Frau gelegt. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und hatte nur Augen für ihn. Er küsste ihre Stirn und zog sie weiter zum nächsten Bild. Die beiden hatten Die Braut nur oberflächlich betrachtet, nur unvollendet bestaunt. Auch beim nächsten Gemälde: nur ein unvollendeter Blick auf die Kunst. Sie genossen nicht, sie konsumierten. Etwas, das ihr zutiefst zuwider war. Nur eine Stunde, nachdem sie gekommen war, verließ sie das Museum wieder.
    Zu Hause wärmte sie sich eine Suppe und aß im Stehen in der Küche. Sie war müde, doch es war zu früh, um schlafen zu gehen. Während sie das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine räumte, beschloss sie, sich im Bett einen Film anzusehen.
    Im Schlafzimmer schob sie Ghost in den DVD -Player ein und stellte zwei brennende Kerzen ins Fenster. Ganz dicht nebeneinander. Dann zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus.
    Sie kroch unter die Decke und startete die DVD .
    An der Stelle, wo Molly sich auf den Asphalt kniete und über den toten Sam beugte, spürte sie, wie die inzwischen vertraute lähmende Traurigkeit durch ihren Körper kroch. Sie schloss die Augen und gab sich ihr hin. Das tat sie jedes Mal, wenn sie sich Ghost ansah.
    Sie hatten diesen Film unzählige Male gemeinsam gesehen.
    Ihr kamen die Tränen bei

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