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Sarg niemals nie

Sarg niemals nie

Titel: Sarg niemals nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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mehr.«
    »Tut mir leid.« Etwas Geistvolleres als Erwiderung fiel mir nicht ein. Solche unrühmlichen letzten Augenblicke hatte ich mir für meinen Tod nicht ausgemalt. »Dann nehme ich an, Sie werden uns gleich töten.«
    »In diesem Zustand?«, entgegnete Harry. »Ich bin eine Ewigkeit gelaufen, bin hundemüde, und du erwartest, dass ich dich auf der Stelle töte? Auch ein Vampir muss gelegentlich verschnaufen, junger Mann, und da du nach London abgehauen bist, habe ich auch keinen Sarg mehr. Der da müsste allerdings reichen.« Er beugte sich über einen leeren Sarg, der an der hinteren Wand lehnte. »Dieses Mal läufst du mir nicht wieder davon, hörst du? Sieh mir in die Augen!«
    Ich gehorchte, weil mir sonst nichts einfiel.
    »Bleib hier«, sagte er langsam, »bis ich aufwache und dich töte.« Er winkte schwach mit der Hand, als wirkte er einen Zauberspruch. »Bleib hier.« Er deutete auf seine, dann auf meine Augen. »Die Macht des Willens«, murmelte er. »Du musst mir gehorchen. Bleib hier.«
    »Hierbleiben«, wiederholte ich.
    »Gut.« Mühsam stieg er in den Sarg. »Ich werde mich rächen – ich will dein Blut und dieses ganze Gedöns –, sobald ich wieder aufwache. Sei froh, dass du nicht soalt wirst wie ich, junger Mann, denn deine Knie werden spurlos verschwinden. Es ist, als hätte ich überhaupt keine Gelenke mehr.« Endlich legte er sich nieder und schloss mit einem Grunzen die Augen.
    »Ist das Harry?«, fragte Percy. »Ihrer Beschreibung nach hätte ich ihn für erschreckender gehalten.«
    Ich trat langsam an den Sarg. »Er sagte, er werde uns töten. Reicht das nicht?«
    »Warum hat er es nicht längst getan?«, wollte Percy wissen.
    »Nun ja, er … er muss offenbar erst ein Nickerchen machen«, erklärte ich.
    »Das braucht er wohl öfter«, meinte Percy.
    »Er ist achtzig«, sagte Mary. »Ob er der Erhabene ist oder nicht, ein Mann darf auch mal müde sein.«
    »Hervorragend.« Ich beobachtete Harry und lächelte breit. »Er schläft.« Ich stieß ihn, aber er rührte sich nicht. »Ganz hervorragend.«
    »Werden wir ihn töten?«, fragte Mary. »Ich dachte, man braucht irgendein geheimnisvolles Ritual, um einen Erhabenen umzubringen.«
    »Kann schon sein, aber das ist nicht mehr nötig«, erklärte ich ihr. »Der Erhabene will uns töten, und im Keller wartet ein Vampirjäger, der den Erhabenen töten will. Wir müssen die beiden nur noch zusammenbringen, dann haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.«
    »Möglicherweise ist der Vampirjäger kaum zu überzeugen, dass der Schläfer dort auf dem Boden ein gefährliches Ungeheuer ist«, wandte Percy ein.
    »Er liegt in einem Sarg«, widersprach ich. »Für Inspector Herring kommt das schon einem Geständnis nahe. Ich hole ihn.«
    »Jetzt gleich?«, fragte Percy. »Mein Onkel ist noch da. Sie können doch Harry nicht töten, wenn nebenan eine Trauerfeier stattfindet.«
    »Warum nicht?«, fragte Mary. »Es ist doch sowieso seine Beerdigung.«
    »Wir wissen nicht, wie lange er schläft«, gab ich zu bedenken. »Und wir dürfen keine Zeit verlieren. Ihr zwei bleibt hier und passt auf, dass niemand hereinkommt. Legt vorsichtshalber einen Deckel auf den Sarg. Ich sage Herring Bescheid.« Bevor Percy Einwände erheben konnte, öffnete ich die Kellertür und wagte mich in das von Fackeln erhellte Verlies.
    Im Keller hatte ein Massaker stattgefunden. Wie weggeworfene Puppen lagen überall schwarz gekleidete Vampire herum, niedergeschlagen und in verkrümmter Stellung zu Boden gesunken. Behutsam stieg ich über eine der Gestalten hinweg, die leise stöhnend auf der Treppe lag. Gustav war wieder bei Bewusstsein, aber immer noch gefesselt und geknebelt. Er starrte mich mit wilden Blicken an. Ich winkte ihm, er solle warten, trat einen Knochen zur Seite und spähte in die Schatten, um Herring ausfindig zu machen.
    »Inspector!«, raunte ich. Aus einer Ecke des Raums vernahm ich Schritte, konnte jedoch nichts erkennen, weil eine Wand im Weg war. Vorsichtig schlich ich weiter und lugte um die Ecke. Obwohl das Licht hier schwächer war, entdeckte ich weitere leblose Körper. Es roch stark nach Knoblauch, aber auch nach Kohle, Rauch und altem Stein. Der Keller war ein Labyrinth aus Säulen und Ziegelmauern, als hätten im Verlauf von Jahrhunderten immer wieder Bautrupps mit der Arbeit begonnen und zahlreiche halb vollendete Kohlenbunker,Lagerräume und Katakomben hinterlassen. Als ich Füße schlurfen hörte, erhob ich noch einmal die Stimme.

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