Sarrasine (German Edition)
einzuführen versuchte, so unbehaglich, daß er lieber allein blieb und die Genüsse dieser ausschweifenden Zeit verschmähte. Er hatte keine anderen Geliebten gehabt als die Bildhauerei und Klotilde, eine der Berühmtheiten der Großen Oper. Aber auch diese letztere Episode war nicht von langer Dauer. Sarrasine war ziemlich häßlich, immer unordentlich gekleidet und hatte ein so freies Naturell, ein so ungeregeltes Privatleben, daß die berühmte Nymphe eine Katastrophe fürchtete und den Bildhauer bald der Liebe zur Kunst zurückgab. Sophie Arnould hat über diesen Vorfall einen hübschen Ausspruch getan, an dessen Wortlaut ich mich nicht erinnere. Sie gab, glaube ich, ihrer Verwunderung Ausdruck, daß ihre Kollegin über die Statuen hatte siegen können.
Sarrasine brach im Jahre 1768 nach Italien auf. Dort entflammte sich seine leidenschaftliche Phantasie unter dem tief leuchtenden Himmel und beim Anblick der wunderbaren Denkmale, mit denen die Heimat der Kunst übersät ist. Er bewunderte die Statuen, die Fresken, die Gemälde und kam so des Ehrgeizes voll nach Rom: er brannte darauf, den Namen Michelangelos und Bouchardons den seinen hinzuzufügen. So teilte er denn in den ersten Tagen seine Zeit zwischen seinen Arbeiten im Atelier und der Besichtigung der Kunstwerke, die es in Rom in solcher Fülle gibt. Er hatte schon vierzehn Tage in diesem Zustand verbracht, der alle jungen Künstler beim Anblick der Königin der Ruinen überkommt, als er eines Abends ins Theater Argentina ging, vor dem sich eine große Menge drängte. Er erkundigte sich nach der Ursache für diesen Andrang, und die Menschen antworteten mit zwei Namen: ›Zambinella! Jomelli!‹
Er tritt ein und setzt sich in das Parterre. Zwischen zwei beträchtlich dicke Abbati war er eingequetscht; aber sein Platz vor der Bühne war gut. Der Vorhang hob sich. Zum ersten Mal im Leben hörte er diese Musik, deren Herrlichkeit ihm Jean Jacques Rousseau bei einem Abend des Barons von Holbach so beredt gepriesen hatte. Die Sinne des jungen Bildhauers wurden durch die Töne der reizenden Harmonieen Jomellis sozusagen geschmiert und schlüpfrig gemacht. Die natürliche Schönheit dieser schmachtenden italienischen Stimmen, die aufs glücklichste zusammenpaßten, versetzten ihn in einen Taumel des Entzückens. Er saß stumm und unbeweglich und fühlte nicht einmal, wie er zwischen den beiden Priestern eingeengt war. Seine Seele war ganz in seinen Ohren und Augen. Er glaubte mit all seinen Poren zu hören. Plötzlich begrüßte ein Beifall, vor dem man meinte, der Saal müßte einstürzen, das Auftreten der Primadonna. Sie schritt zierlich bis an die Rampe vor und grüßte das Publikum mit unendlichem Liebreiz. Die Lampen, die Begeisterung einer großen Menge, die Illusion der Bühne, die Reize einer Toilette, die zu der Zeit recht verführerisch war, alles wirkte zugunsten dieses Weibes zusammen. Sarrasine schrie fast vor Vergnügen. Er bewunderte hier die ideale Schönheit, deren Vollkommenheit er bisher in der Natur stückweise hatte suchen müssen, indem er von einem oft unwürdigen Modell die Rundung eines vollendeten Beines, von einem andern die Formen des Busens, von einem dritten die glänzenden Schultern und schließlich von einem jungen Mädchen den Hals, von dieser oder jener Frau die Hände, von einem Kinde die blanken Kniee nahm, ohne daß er je unter dem frostigen Himmel von Paris die vollendeten und runden Gestalten des antiken Griechenlands gefunden hätte. Die Zambinella zeigte ihm lebendig und graziös in herrlicher Vereinigung die köstlichen Formen der weiblichen Gestalt, nach denen er so brennend begehrt hatte, für die ein Bildhauer immer zugleich der strengste und der leidenschaftlichste Richter ist. Sie hatte einen sprechenden Mund, Augen der Liebe, einen Teint von blendenden Farben. Und zu diesen Einzelheiten, die einen Maler entzückt hätten, füge man alle Wunder der Venus, wie sie der Meißel der Griechen gestaltet hat. Der Künstler wurde nicht müde, die unnachahmliche Grazie, mit der die Arme zur Brust übergingen, oder die zauberische Rundung des Nackens, die schön geschwungenen Brauen, die Linien der Nase, das vollkommene Oval des Gesichts, die Reinheit ihrer lebhaften Konturen und die Wirkung der dichten, schwungvoll gebogenen Wimpern zu bewundern, die den Abschluß der großen, wollüstigen Lider bildeten. Das war mehr als ein Weib, was da vor ihm lebte, es war ein Meisterwerk! Dieses unerwartete Wesen hatte Liebe in sich
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