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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Autorität zusammenhalten mußte.
    »Dein Vater und ich wünschen allein zu sein. Geh jetzt, Petrus.« In Krisensituationen war ihr Ansehen ungebrochen. Widerwillig machte Petrus sich davon.
    »Numincus, sage meiner Dienerin, daß ich warmes Wasser brauche. Geh!« fügte Placidia scharf hinzu, als auch der Verwalter zögerte. Nun waren sie allein. Der schockierende Anblick des blutenden Gesichts seiner Frau hatte Constantius plötzlich ernüchtert. Beschämt sank er in sich zusammen.
    »Dein Sohn hat recht«, sagte sie leise. »Du mußt etwas unternehmen. Verlaß mich jetzt!«
    Er wollte den Ausdruck ihrer Augen enträtseln. Empfand sie nur noch Verachtung für ihn? Er wußte es nicht. Gedemütigt verließ er den Raum. Ja, dachte er, während er langsam durchs Haus ging, ich muß etwas unternehmen. Mittlerweile bereitete Petrus seinen Aufbruch vor.
    Die Lage in Sarum war ernst. Seit vier Jahrhunderten hatte es etwas Ähnliches nicht gegeben: Wenn die letzten Berichte der Wahrheit entsprachen, stand eine drohende Invasion der Barbaren bevor – sie würde Sarum, die Villa und die Familie zerstören. Wenn die Angreifer jetzt kamen, gab es keine römischen Truppen, die sich ihnen entgegenstellten, nicht einmal eine örtliche Miliz. Constantius hatte keine Vorkehrungen zur Verteidigung des Ortes getroffen. Zwanzig Jahre zuvor hatten die Legionen die Insel verlassen.
    Jahr für Jahr hatte er gehofft, daß sich die Situation bessern und sie zurückkehren würden. »Ihr müßt nur glauben«, sagte er zu Placidia und seinem Sohn.
    Er sah sie vor seinem geistigen Auge – christliche Legionäre, die der römischen Familie in Sarum zu Hilfe eilten. Sie kamen jedoch nie. Constantius Porteus war nicht nur stolz darauf, ein römischer Herr zu sein. Er war auch, wie viele Landbesitzer der Dekurio-Klasse, ein Christ. Seit der Bekehrung des großen Kaisers Konstantin, hundert Jahre zuvor, war die einst verachtete und verfolgte christliche Sekte zur anerkannten Religion des Imperiums und seiner Armee geworden. Allerdings gab es noch viele Anhänger anderer Kulte und der alten heidnischen Götter. Doch was Constantius betraf, waren er und der Imperator Christen, und nur das hatte Gewicht.
    Genauer gesagt, war er nicht einfach ein Christ, sondern, wie viele andere auf der Insel, ein Anhänger des aus Britannien stammenden Mönches Pelagius, der in den letzten Jahren großes Aufsehen in der römischen Welt erregt hatte. Die Pelagianer distanzierten sich stolz von anderen Gläubigen, indem sie erklärten, jeder Christ müsse sich den Himmel nicht nur durch seinen Glauben, sondern durch seine Taten verdienen.
    »Gott gibt jedem Menschen einen freien Willen«, erklärte Constantius seinem Sohn, »und Gott beobachtet unsere Taten, für die wir einstehen müssen. Das ist wichtig.«
    Genaugenommen war das Ketzerei, doch in Pelagius’ Heimat war es eine weitverbreitete Meinung, und Constantius glaubte fest daran. Deshalb war er tief empört, als der junge Petrus an jenem Tag die unerhörte Forderung stellte, daß sie, wie auch andere Orte der Gegend, heidnische Germanen zur Verteidigung einer christlichen Villa heranholen sollten.
    »Was deine Entscheidungen betrifft«, sagte Petrus, »du Anhänger des Pelagius, wo ist dein von Gott gegebener freier Wille? Er erschöpft sich im Trinken. Und wo sind deine Taten? Es gibt keine.« So sollte ein Sohn nicht mit seinem Vater sprechen, dachte Constantius. Doch leider fühlte er im Innersten, daß der Junge recht hatte.
    Die Villa des Constantius Porteus, die etwa vier Jahrhunderte vorher an derselben Stelle errichtet worden war, an der die seines Vorfahren Caius gestanden hatte, war ein viel eindrucksvolleres Gebäude mit acht großen Wohnräumen, auf drei Seiten eines quadratischen Hofes angeordnet, dazu zweistöckige Seitenflügel. Ausgedehnte Nebengebäude hinter dem Haus beherbergten die Landwirtschaft. Das Innere des Gebäudes war viel prächtiger als das des früheren Hauses und hätte jeden Wunsch des alten Tosutigus befriedigt. Alle Spuren des ursprünglichen Bauernhofes waren beseitigt. Große, helle, luftige Räume gingen ineinander über. Der Fußboden der Eingangshalle bestand aus glattem rosa Marmor, der zweihundert Jahre zuvor aus Italien eingeführt worden war. Doch das schönste Zubehör waren die herrlichen Mosaikböden. Constantius stand am Eingang zum größten Raum. Placidia hatte sich mit ihrer Dienerin in ihre Gemächer zurückgezogen; sein Sohn und der Verwalter waren

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