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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ich auf ein einzelnes Lamm. Es kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Es sprach zu mir: Petrus, weide meine Schafe. Dann verschwand es. Ich konnte nichts damit anfangen, doch bald darauf hörte ich die Stimme des Lammes wieder, obwohl es nicht mehr da war. Es sagte oft und oft: Weide meine Schafe.
    Da erwachte ich… In derselben Nacht hatte ich noch einen zweiten Traum. Diesmal sah ich eindeutig Venta. Ich sah die Mauern, die Säule des Mark Aurel und die Tore. Als ich auf die Stadt zurückblickte, fiel ein helles Licht aus dem Himmel auf sie nieder, und alle Dächer glänzten. Da hörte ich eine Stimme. Ich weiß nicht, woher sie kam, ob aus meinem Innern oder aus den Wolken; doch ich hörte sie deutlich, und sie sagte: ›Meine Stadt ist eine himmlische Stadt, nicht aus Stein, sondern aus dem Geist. Und meine Stadt ist ewig. Wende dich ab von weltlichen Sorgen, Petrus, und wandere unerschrocken auf die Stadt Gottes zu.‹ Dann erwachte ich. Die Dämmerung brach an. Da wußte ich, was ich zu tun hatte.«
    Es war eine eindrucksvolle Vision, und Petrus war stolz darauf. Doch als er frühmorgens Martinus davon berichtete, war die Reaktion ernüchternd.
    »Wenn du Gott wirklich dienen willst, mußt du Selbstzucht lernen«, sagte er. »Ich rate dir, in eines der gallischen Klöster einzutreten. Lerne dort ein paar Jahre; es wird deinen widerspenstigen Geist lehren, sich Gott hinzugeben. Erst dann kannst du Missionar werden.« Petrus dankte ihm höflich, doch nahm er sich den Rat nicht sonderlich zu Herzen. Die Vision, so schien es ihm, war eindeutig gewesen. Er hatte so etwas nie vorher erlebt, und nun, da Gott unmittelbar zu ihm gesprochen hatte, öffneten sich ihm weite Perspektiven, er sah sich in neuen heroischen Rollen.
    Am Spätnachmittag des folgenden Tages sah Tarquinus Petrus auf dem Pfad an der Flußkrümmung auf sich zureiten. Die Augen des Viehhirten weiteten sich vor Erstaunen. Petrus ritt im Schritt, und sechs Arbeiter vom Gutshof folgten ihm. Was den alten Mann jedoch stutzig machte, war das Aussehen des jungen Mannes: Petrus trug keine Kopfbedeckung, und der Schädel war völlig kahlgeschoren. Seltsamer noch – als Tarquinus den Mund zum Gruß öffnete, starrte Petrus ihn an, als wäre er ein Ungeheuer, dann wendete er den Blick ab. Tarquinus folgte der Gruppe an die Flußbiegung. Seine Überraschung sollte sich aber noch steigern. Als Petrus an der Lichtung mit der verborgenen taurobolium Grube ankam, befahl er den Männern, die Bretter zu entfernen und den Holzrost darunter zu zerstören.
    »Verbrennt das Holz, und füllt die Grube auf«, wies er sie an. »Seht zu, daß ihr bis heute abend damit fertig seid.«
    Als Tarquinus das vernahm, humpelte er protestierend herbei, doch Petrus rief ihm mit einem vernichtenden Blick zu: »Dein frevelhaftes Werk wird zerstört, Diener des Satans!« Ehe der Viehhirt etwas erwidern konnte, riß Petrus sein Pferd herum und ritt ins Tal. Es dämmerte, als er die Villa erreichte, wo er schon sehnlichst erwartet wurde. Der Knecht hatte Numincus eine Stunde zuvor mitgeteilt, daß Petrus gesehen worden sei, und der Verwalter eilte in die Villa und veranlaßte die notwendigen Vorbereitungen. Ein Dutzend Fackeln brannten zum Willkommen am Tor, und selbst Constantius hatte sich erhoben und stand mit seiner Frau und dem Verwalter zur Begrüßung bereit. »Hoffentlich hat er eine reiche Braut gefunden«, sagte er. Petrus saß ab und umarmte seinen Vater zu dessen Überraschung mit einer Herzlichkeit wie seit Jahren nicht mehr. Während sie ins Haus gingen, bemerkte der Vater die Tonsur.
    »Ich habe Neuigkeiten, die dich erfreuen werden, Vater. Ich wurde endlich zum wahren Glauben Christi bekehrt. Bevor ich herkam, zerstörte ich die taurobolium Grube. Es wird keine Freveltaten mehr in Sarum geben.«
    Als Constantius das hörte, kamen ihm die Tränen. »Mein lieber Sohn!« Das war alles, was er sagen konnte. »Ich danke Gott.« Sie setzten sich zu Tisch, die Diener brachten eine große Schüssel mit dampfendem Fisch, und Placidia fragte leise: »Was ist mit Flavia, Petrus? War sie nach deinem Geschmack?«
    Petrus erwiderte heiter ihren Blick. »Flavia? Ich weiß nicht«, sagte er ruhig. »Ich gelobte, nur Christus zu dienen, und legte das Gelübde der Keuschheit ab. Ich gelobte, nie mehr eine Frau zu berühren. Also hatte ich auch keinen Grund, Flavia aufzusuchen. Ich kehrte sogleich nach Sarum zurück.« Während die übrigen diese erschreckenden Neuigkeiten zu begreifen

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