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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Geschichte von Patricius? Das ist der Mann, den ich in Irland treffe.«
    Als Petrus verneinte, berichtete er: Patricius war nur ein paar Jahre älter als er. Seine Angehörigen waren, wie die Familie Porteus, bescheidene Landbesitzer der Dekurio-Klasse, deren Anwesen im Westen Britanniens lag. Als Patricius sechzehn Jahre alt war, wurde die Küste, an der er lebte, von irischen Seeräubern überfallen; sie verschleppten ihn über das westliche Meer nach Irland, wo sie ihn als Sklaven verkauften. »Er diente als Schafhirte, getrennt von allen, die er liebte. Aber er verlor nie seinen Glauben an Gott.«
    »War seine Familie christlich?«
    Zu Petrus’ Erstaunen lachte Martinus. »Sein Vater und sein Großvater empfingen christliche Weihen, aber es würde mich nicht wundern, wenn sie sich auf diese Weise nur vor den Abgaben drücken wollten – was meinst du?«
    Gegen Ende des Imperiums waren die Dekurionen von den finanziellen Lasten der maßgeblichen Ämter befreit worden, wenn sie christliche Weihen empfingen.
    Martinus erzählte Petrus die Geschichte von Patricius’ religiöser Berufung, wie er täglich allein in die Wälder ging, um zu beten, und wie er nach sechs Jahren eine Erscheinung hatte, die ihm verkündete, daß er, einige Tagereisen entfernt in einem ihm unbekannten Hafen, ein Schiff finden werde, das ihn nach Hause zurückbringen werde. »Und von da an wußte er, daß er von Gott auserwählt worden war. Er verließ seine Heimat, studierte in Gallien und wurde Mönch. Dann hatte er noch eine Erscheinung, die ihm sagte, daß die irischen Heiden, die ihn versklavt hatten, zum Christentum bekehrt werden sollten. Zuerst wollten die Kirchenbehörden ihn nicht ziehen lassen; sie meinten sogar, er sei unwürdig. Doch er ließ nicht locker, und so wurde er dorthin geschickt. Ich fahre morgen zu ihm.«
    Das war eine kühne und ganz andere Auslegung des Christentums, als Petrus es bis dahin kennengelernt hatte. Er stellte Martinus weitere Fragen, und der Mönch berichtete von den wirkungsreichen Klöstern Italiens und Galliens, ihren großen Männern wie Martin von Tours, Germanus von Auxerre und dem Mönch Ninian, der kurz zuvor das erste Kloster im Land der wilden Pikten im Norden der Insel gegründet hatte. Er erzählte von ihrer Tapferkeit, ihrer heiligmäßigen Lebensführung, ihren härenen Hemden und anderen Beschwerlichkeiten, die sie zur Abtötung der Fleischeslust freiwillig auf sich nahmen. »Sie sind die wahren Diener Gottes«, sagte er. »Wir setzen ihre Arbeit in Irland fort.« Während er so sprach, fiel alles Jungenhafte von ihm ab. Petrus spürte plötzlich, daß er einen Mann vor sich hatte, der ihm zwar an Jahren gleich, doch an Reife weit voraus war. »Lebst du mit dir in Frieden?« fragte er.
    »Ja«, antwortete der Mönch schlicht. Und Petrus wußte, daß es so war. Martinus nahm mit seiner großen Hand Petrus sanft am Arm. »Ich sehe, mein Freund, daß du, obwohl du ein Heide bist, die Wahrheit suchst. Eines Tages wirst du sie finden, wenn Gott dir einen Befehl gibt, und dann wirst auch du deinen Frieden haben.« Er gab ihm einen freundlichen Klaps. »Zeit zum Schlafen! Wir haben morgen beide eine Reise vor uns.«
    Petrus überlegte. Hatte er seinen Frieden denn gefunden? Er dachte an seine Eltern, an das Mädchen Sulicena, an das taurobolium, an die Wirrungen und heftigen Gefühlsschwankungen seines jungen Lebens. Nein, ob nun die Religion des Missionars oder seine eigene die wahre Religion war – er hatte seinen Frieden noch nicht gefunden. Als sie sich erhoben, kam ihm ein Gedanke.
    »Als du das erstemal deinen Hof verlassen hast, hat Gott dir einen Auftrag gegeben, so sagtest du jedenfalls. Welcher Auftrag war das, Martinus?« fragte er.
    »Den gleichen, den er dem Apostel mit deinem Namen gab: Petrus, der Fels«, antwortete der Mönch. »Er sagte: Weide meine Schafe.« Petrus nickte; er kannte den Text. »Gott spricht nicht zu mir«, gab er freimütig zu.
    Martinus blickte ihn fest an. »Du mußt nur zuhören, Petrus«, erwiderte er. »Manchmal spricht er sehr leise.«
    Sein Leben lang behauptete Petrus, seine Bekehrung habe sich in ebendieser Nacht vollzogen, kurz vor der Morgendämmerung. Es geschah im Traum.
    Er befand sich auf einem weiten einsamen Hügelland – ähnlich den Höhen um Sarum. »Aber es war nicht Sarum«, erzählte er, »ich war in einem anderen Land, das ich für Irland hielt. Die Landschaft war voll von weißen Schafen. Und als ich zwischen ihnen hindurchritt, traf

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