Sarum
Pferdewechsel. Sie war von einer kürzlich errichteten Holzeinfriedung umgeben, denn die ehemalige war einige Jahre zuvor von irischen Marodeuren niedergebrannt worden. Ein paar kleine Coracles, Boote aus Weidengeflecht, mit Häuten überzogen, lagen an der Mole vertäut, und daneben ein massives Holzschiff mit Mast, das offenbar kurz vor dem Auslaufen war. Petrus ließ seine Pferde in der mansio versorgen, und der Wirt führte ihn in einen länglichen Raum mit einer Feuerstelle auf jeder Seite, wo bald das Abendessen serviert werden sollte. Die übrigen Gäste waren sechs Seeleute und ein älterer verwitterter Mann mit roter Haarmähne, welcher der Herr des Segelschiffes war. Dieser hatte den Vorsitz an dem langen Tisch in der Mitte des Raumes. Petrus wurde freundlich empfangen.
Man brachte eine große Schüssel mit Eintopf und Krüge mit Ale. Fröhliche Gespräche kamen auf. Bald darauf wurde Petrus auf einen anderen Reisenden aufmerksam, der allein und schweigend am Tischende aß und einen birrus trug, den schweren römischen Kapuzenmantel aus brauner Wolle, wofür die Insel berühmt war.
Der Schiffseigner sah, daß Petrus’ Blick zu dem Mann hinüberging; er stieß ihn an und sagte leise: »Siehst du den Burschen da drüben? Nun ja, in einem Monat ist er tot. Sie schlitzen ihm die Kehle von einem Ohr zum andern auf.«
Petrus starrte die stille Gestalt überrascht an. »Woher weißt du das?« fragte er.
»Er segelt morgen mit uns«, erklärte der Seemann, »nach Irland. Dort trifft er sich mit einem Kameraden, den sie Patricius nennen, und mit dessen Freunden. Sie werden alle umgebracht.« Petrus hatte nie von Patricius gehört und fragte, wer diese Leute seien. »Christliche Missionare«, war die verächtliche Antwort. »Sie wollen die irischen Heiden bekehren, von denen die meisten Halsabschneider und Piraten sind; das kann dir jeder an der Küste bestätigen… Schade. Er ist ein netter Bursche.«
Nach dem Essen setzten sich die Seeleute um eines der Feuer. Der Fremde ging zum anderen Feuer, holte eine kleine Pergamentrolle hervor und begann zu lesen. Petrus setzte sich zu den Seeleuten. Der Abend verlief angenehm, die Seeleute betranken sich mehr und mehr, blieben jedoch friedlich. Schließlich gingen vier Männer ins Schlafquartier, und zwei andere dösten am Feuer vor sich hin. Petrus hatte wenig getrunken und war noch hellwach. Er ertappte sich dabei, wie er den Fremden neugierig musterte: Jener wirkte bescheiden, fast verschlossen und dabei doch irgendwie überlegen. Nach einer Weile spürte der andere seine Blicke und wandte sich ihm zu.
Er war jung, kaum älter als Petrus, hatte ein markantes Gesicht mit weit auseinander stehenden braunen Augen. Seine Hände waren groß und kräftig, und seine Augen blitzten vergnügt.
»Noch nicht im Bett? Hast wohl nicht genug getrunken?« Während er sprach, schob der junge Mann seine Kapuze nach hinten, und Petrus sah, daß sein Kopf bis auf einen runden Haarkranz kahlgeschoren war. Obwohl um diese Zeit Klöster in Britannien weitgehend unbekannt waren, wußte Petrus aufgrund der Tonsur, daß es sich um einen Mönch handelte.
Anscheinend hatte dieser seine Lektüre beendet, denn er winkte Petrus zu sich heran. »Ich heiße Martinus«, sagte er. Er sei aus Gallien gekommen, um seine Familie in Britannien zu besuchen, bevor er seine Reise nach Irland antrat. Er fragte Petrus nach seinem Reiseziel und hörte aufmerksam zu, als dieser ihm von dem Ritt nach Lydney und von dem geplanten Besuch bei Flavias Familie am kommenden Tag erzählte. Nun wagte er Martinus auszufragen. War etwas Wahres an den Worten des Seemannes? Wollte er in Irland die Heiden bekehren? Martinus nickte.
»Hast du keine Angst?«
Der junge Mann nickte wieder. »Manchmal schon; aber das geht vorüber. Wenn man Gott dient, hat man eigentlich nichts zu fürchten.«
»Aber sie können dich umbringen.« Martinus lächelte unbefangen. »Vielleicht.«
»Warum hast du dich entschlossen, dem Christengott zu dienen?«
»Ach, nicht ich habe mich entschieden«, stellte Martinus richtig, »Gott wählt aus. Im Grunde will ich überhaupt nicht dorthin.« Martinus schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich gesagt, ich würde lieber auf dem Hof meiner Familie bleiben. Er liegt nur zwei Tageritte von hier, weißt du. Aber Gott gab mir einen Befehl, und ich trat in ein Kloster ein, und jetzt ist es Gottes Wille, daß ich nach Irland gehe, also…« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kennst du die
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