Sarum
rief.
Etwa eine Meile hinter Avonsford fand die Begegnung statt. Rechts von der Straße lag ein Wald, durch den ein gewundener Pfad zum Fluß führte. Am Beginn dieses Pfades blieb Osmund plötzlich stehen. Was er sah, mußte eine Vision sein. Er war sicher, daß sie vom Teufel geschickt worden war. Rasch bekreuzigte er sich.
Die vom Teufel gesandte Erscheinung lachte; sie hatte die Gestalt des Mädchens Cristina und lehnte in einem leichten, hemdartigen Gewand, das um die Mitte gegürtet und vorn offen war, so daß es kaum ihre Brust bedeckte, an einem Baum. Ihr Haar hing lose herab, und sie sah ihn belustigt an. Er bekreuzigte sich noch einmal.
»Was ist denn mit Euch los?« erkundigte sie sich, als sie seine fahrigen Bewegungen sah. »Wer bist du?« fragte er heiser.
»Ihr kennt mich, Steinmetz Osmund«, antwortete sie lächelnd, »ich bin Cristina.«
Er konnte nicht anders, er mußte sich ihr nähern und sie ansehen. Sie sah ganz real aus, aber wenn sie es wirklich war, was tat sie hier? »Was willst du?«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht wollte ich Euch sehen. Ich wußte, daß Ihr vorbeikommen würdet.«
Es war ihm klar, daß er sofort weggehen mußte, und doch blieb er. Sie unterbrach das Schweigen. »Ich habe gesehen, wie Ihr mich beobachtet.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Er fühlte, wie er tief errötete. »Das wißt Ihr wohl«, spottete sie leichthin. »Ihr habt mich seit letztem Sommer immerzu beobachtet. Jedesmal, wenn ich durch die Kirche ging. Ich habe Euch gesehen, wie Ihr an unserem Haus vorbeigegangen seid. Oft sogar.«
Er wollte widersprechen, doch das Mädchen lachte leise. »Ich habe nichts dagegen.« Dann sagte sie zu seiner Überraschung ganz ruhig: »Ihr könnt mich küssen, wenn Ihr wollt.« Er starrte sie an. Sie war nicht älter als seine Tochter. Sie bewegte sich nicht, sah nur zu ihm auf. In ihrem Blick lag etwas wie Verletztheit, ja ein Vorwurf.
»Ihr müßt nicht, wenn Ihr nicht wollt«, murmelte sie. Er stand ganz still. Der Wald lag in unnatürlichem Schweigen da. Der Steinmetz wußte kaum, was er tat, ließ alle Vernunft außer acht, ging auf sie zu, beugte sich über sie und küßte ihre Lippen. Überrascht spürte er, wie das Kind seine weichen Arme um seinen Hals legte und ihn an sich zog.
Wie süß ihre Lippen schmeckten! Ihr junger Körper drängte sich an ihn. Der Steinmetz zitterte. In der Aufregung fielen die beiden zu Boden.
Gleich darauf begann sie an seinen Kleidern zu nesteln. Osmund vergaß jede Furcht und Vorsicht. Mit einem Schrei sprang er auf, riß sich die Kleider vom Leib und stand, ganz rot vor Stolz, nackt vor ihr. Nun würde er sie endlich besitzen. Er streckte die Arme nach ihr aus. Doch rasch entzog sie sich seinem Griff mit hellem Lachen und lief fort. Nach einigen Metern wandte sie sich um.
»Fangt mich doch!« rief sie. Bevor er etwas sagen konnte, entfernte sie sich leichtfüßig auf dem Weg zwischen den Bäumen. Der untersetzte, behaarte Mann sprang hinterher. Dabei war sie in ihrem weißen Gewand nur ein paar qualvolle Meter von ihm entfernt. Blätter und Äste schlugen ihm ins Gesicht; er stolperte über die harten Wurzeln, aber er bemerkte es kaum.
Nun waren sie fast am Fluß, das Mädchen bereits auf der anderen Seite der Waldschneise. Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. Auf ihrem Gesicht lag ein siegessicheres Lächeln.
Da hörte er aus dem Wald Kinderlachen, und schon kamen sie von beiden Seiten herbei.
Es waren mehr als zwanzig. Die meisten kannte Osmund aus Avonsford. Sie standen jetzt in der Schneise, und er wußte sofort, daß sie sich absichtlich versteckt und ihn abgepaßt hatten. Sie deuteten lachend auf seine Nacktheit.
Er sah zu Cristina hin, die seinem Blick standhielt und sich schier ausschüttete vor Lachen. Dann verschwand sie flugs zwischen den Bäumen und ließ ihn in seiner absurden Situation inmitten der Kinder stehen. Es blieb ihm nichts übrig, als den Weg wieder zurückzugehen. Dabei klang das Lachen der Kinder in seinen Ohren. Er überlegte, wie lange das Mädchen diesen grausamen Scherz geplant haben mochte, der so gründlich darauf abzielte, ihn zu demütigen. War es ihre Idee gewesen? Hatte möglicherweise ihr eifersüchtiger Vater teil daran? Als die volle Tragweite des soeben Geschehenen sich in einer schrecklichen Vision vor seinen Augen aufrollte, brach ihm der kalte Schweiß aus, und seine kleinen Hände ballten sich in ohnmächtiger Wut. Innerhalb einer Stunde würde ganz Avonsford, am
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