Sarum
aus den königlichen Gemächern kommen sehen. In seinem Haß auf die Godefrois und Shockleys hatte er sogar vergessen, daß Osmund fünfundzwanzig Jahre zuvor, bei der Zusammenkunft vor der Mühle, ebenfalls anwesend gewesen war. Osmund bahnte sich seinen Weg durch die Runde, trat vor und verkündete vor dem König: »Aber ich war auch dabei, Euer Majestät, als Hugh de Godefroi in den Kampf zog, doch sein Vater verfluchte ihn und untersagte ihm zu ziehen.«
Das war eine Lüge, doch sechzig Jahre der Verbundenheit mit dem Ritter von Avonsford machten ihm diese Lüge leicht. John Wilson sah ihn verblüfft an. »Du lügst!« schrie er. Eduard aber lächelte erleichtert. Er neigte gefühlsmäßig eher dazu, dem alten Steinmetzen zu glauben, und außerdem wollte er es auch. »Sagt nichts mehr gegen Godefroi!« fuhr er Wilson an. »Wo ist dein Beweis wegen des Hofes?«
Einen Augenblick lang zitterte John Wilson so vor Wut, daß er nicht sprechen konnte. Da berührte Cristina ihn am Arm und sah den König bittend an. Wilson beruhigte sich allmählich und zog ein versiegeltes Dokument heraus, das er dem König überreichte. Er wartete voller Vertrauen. Damit würde sich alles regeln. Da irrte er aber gewaltig. Denn das Dokument, das sein massives Gebäude aus Betrug und Rache stützte, der Beweis, den er für ein Meisterwerk hielt, war ein furchtbarer Irrtum, in der Tat ein jämmerlicher Fehlschluß seinerseits – einem gebildeten Menschen wäre er nie unterlaufen. John Wilson war zwar redegewandt und listig, konnte jedoch nicht lesen.
Eduard ging das Schriftstück langsam durch; dabei hellte sich seine Miene auf. John und Cristina sahen einander befriedigt an. Doch schließlich brach der König in lautes Gelächter aus und reichte das Schreiben einem Höfling, der ebenfalls schmunzelte.
Diese Fälschung, für deren Abfassung John Wilson einen armen Pfarrer bezahlt hatte, war lächerlich. Die angebliche Überschreibung des Shockley-Hofes auf Aaron und die folgende Übertragung auf Wilson war in einer so grotesken Mischung aus Französisch, Küchenlatein und Englisch formuliert, daß kein des Lesens und Schreibens kundiger Kleriker oder Kaufmann so etwas verbrochen haben konnte.
Die Übertragungsklauseln waren falsch, das Dokument war nicht entsprechend gezeichnet oder bezeugt – es konnte keinesfalls durch die Hände eines hochgebildeten Juden gegangen sein, nicht einmal als gesetzeswidrige Überschreibung. Nur etwas war daran echt: das Siegel des Juden, das Wilson einen Monat zuvor aus dem Staub an der Fisherton Bridge aufgelesen hatte. Eduard hörte auf zu lachen und brüllte Wilson an: »Dein Dokument ist eine Fälschung, du Gauner. Du bist ein Betrüger. Dafür kommst du ins Gefängnis!«
»Aber es ist das Siegel des Juden«, schrie Wilson in Panik. »Es muß doch echt sein.«
»Dummkopf! Weißt du nicht, daß ein Siegel gar nichts beweist?« Wilson machte ein langes Gesicht. Das Siegel hatte ihn auf die Idee gebracht. Er hatte daran geglaubt, denn er hatte immer gehört, daß ein gesiegeltes Dokument in jedem Streit ein schlagender Beweis sei. »Wie kannst du es wagen, dem König die Zeit zu stehlen und seine getreuen Diener zu beschuldigen?« tobte Eduard. »Dafür wirst du bestraft. Ruft die Wache!«
Gleich darauf sah Wilson sich von bewaffneten Männern umgeben. »Haltet ihn bis zu meiner Rückkehr hinter Schloß und Riegel«, befahl der König, deutete auf Cristina und fügte hinzu: »Und die auch.« Erst nachdem er einige Stunden gejagt hatte, besserte sich seine Laune. Er war übellaunig gewesen, weil man auf diese Weise seine Zeit vergeudet hatte und weil er trotz Osmunds Aussage den Verdacht nicht loswerden konnte, daß an den von Wilson vorgebrachten Beschuldigungen etwas Wahres sein könnte. Sollte er der Sache nachgehen, um die Wahrheit herauszufinden? Wozu – um einen längst vergessenen Verrat aufzudecken? Er wollte nicht mehr an diese lang zurückliegende Angelegenheit denken. Er wollte nichts darüber erfahren. »Godefroi ist mein Freund«, murmelte er. Doch die Saat des Mißtrauens war gesät.
Das Schicksal John Wilsons und seiner Frau wurde durch Umstände entschieden, die mit dem Shockley-Hof nichts zu tun hatten. Ein junger, umsichtiger Höfling, der in die schottischen Verhandlungen eingeschaltet gewesen war, nahm den Fall in die Hand. An jenem Morgen hatte er das Paar eingehend beobachtet; als König Eduard beim Abendessen saß, machte der junge Mann ihm vertraulich einen klugen
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