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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Blut des Jungen saugen wollte, war es nicht möglich. Er hinterließ Blut und Bakterien aus seinem Magen auf der Haut des Jungen, bevor er fortsprang. Der Junge hieß Peter Wilson.
    Diese winzige Lebensform ist ein kleiner Zellverband. Unter einem starken Mikroskop hat die Bakterie die Form einer Sicherheitsnadel. Die Bakterien vermehren sich anfangs rapide im Blut kleiner Nagetiere; daher gab ihnen die Medizin den Namen yersinia pestis, und sie existieren dort unbemerkt. So war es seit vielen Jahrhunderten, und so ist es noch heute in abgelegenen Gebieten des Erdballs von der Krim über Indien und die Vereinigten Staaten von Amerika.
    Normalerweise werden die Pesterreger von Antikörpern in Schach gehalten und vermehren sich nicht unkontrolliert im Blut ihrer Träger. Dieses Gleichgewicht, das unbegrenzt dauern kann, birgt die permanente Gefahr des Krankheitsausbruchs.
    Wie erklärt es sich, daß nach friedfertigem Verhalten über vielleicht hundert Jahre hin die kleinen Zellen plötzlich eine Überaktivität entwickeln und sich mit explosionsartiger Heftigkeit vermehren? Welche Veränderung in der Umwelt, welcher unerwartete Auslöser setzt den Prozeß in Gang? Die Wissenschaft bietet verschiedene Erklärungen an, kennt jedoch keine eindeutige Antwort.
    Sobald sich die Krankheit ausbreitet, ist sie kaum mehr aufzuhalten. Nichts außer einer Hochgebirgskette, einer Polareiszone oder einem unüberquerbaren Meer scheint sie stoppen zu können. In den Jahren um 1340 vollzog sich eine solche Ausbreitung: von Zentralasien aus ostwärts nach China, südwärts nach Indien und südwestlich über die alten Handelswege nach Kleinasien und in die Türkei. Im Dezember 1347 tauchte sie gleichzeitig in Konstantinopel, an der Küste von Griechenland, in Genua, Nordwestitalien und Marseille in Südfrankreich auf. Dann überrollte sie ganz Westeuropa. Nie vorher hatte es dergleichen gegeben.
    Der Schwarze Tod wird durch eine einzige Bakterienart auf zweierlei Weise übertragen: Bei der Beulenpest treten gewöhnlich Flöhe als Überträger auf. Es wurden nicht weniger als zweiundsiebzig mögliche Wirtstiere identifiziert, von Kaninchen, Hasen, Eichhörnchen, Hunden, Katzen bis zu den bekanntesten, den Ratten.
    Bei der Lungenpest werden die gleichen Bakterien von einem kranken Menschen durch Tröpfcheninfektion auf einen anderen übertragen. In den ersten Monaten des Jahres 1348 brach die Pest über Venedig und Pisa herein. Im März erreichte sie die dichtbevölkerte Stadt Florenz, wo die Menschen wie die Fliegen starben. Südfrankreich war bereits in ihren Klauen. Im Juni erfaßte sie den Westen bis Mittelspanien und wütete in fast ganz Frankreich bis über Paris hinaus. Kurz darauf kam sie an Englands Küsten.
    Durch den Flohbiß gelangten die Bakterien in Peter Wilsons Blut und reisten mit ihm den Fluß Avon hinauf. Obwohl sie bereits mehr als siebentausend Meilen unterwegs waren, wüteten sie noch mit ungebrochener Gewalt.
    Walter Wilson und sein jüngster Sohn Peter kamen abends nach Sarum zurück und gingen gleich auf das Gehöft der Shockleys. Mary Shockley war einige Jahre davor gestorben, und der Hof war auf ihren Neffen William übergegangen, der die meiste Zeit in der Stadt verbrachte. Von den fünf Kindern John Wilsons blieb nur Walter auf dem Hof; obwohl sie gut behandelt wurden, haßten er und seine Familie die Shockleys weiterhin, weil diese die Herren waren.
    Peter Wilson war froh, wieder zu Hause zu sein. Weder er noch seine Familie, noch sonst irgend jemand in Sarum dachte während der nächsten achtundvierzig Stunden an die Pest. Die einzige Ausnahme war Gilbert de Godefroi. Sein seltsames Verhalten, weshalb die Leute ihn tagelang für exzentrisch hielten, beruhte auf einem Brief, den er von einem Tuchhändler erhalten hatte, der vor kurzem vom Kontinent nach London zurückgekehrt war. Schon früher hatte Godefroi vage Gerüchte über die Pest in Südfrankreich gehört, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Der Brief des Tuchhändlers war deutlicher:
    Diese schreckliche Pest wütet bereits in Paris. Als ich nach Norden fuhr, schien sie mir auf den Fersen zu folgen. Niemand weiß sich zu helfen. Es heißt, daß sie sich durch die Luft verbreitet und durch den Atem der Angesteckten. Manche glauben sich schützen zu können, indem sie Kräuter vor die Nase halten. Im Süden flohen alle, denen es möglich war, aus den pestverseuchten Städten, wo die Krankheit zu brüten scheint. Mit Sicherheit kommt sie bald nach

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