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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ruhig über alldem.
    Osmund ließ sich Zeit. Er ruhte sich aus, wenn er es für richtig hielt. Endlich, kurz bevor die Glocke die halbe Stunde verkündete, kam er in die schwindelnde Höhe, wo er seine kurzen Arme um die Spitze schlang und den Deckstein darauf berühren konnte. Er bemerkte, daß tief unten die Menschen neben der Kathedrale zu ihm heraufstarrten. Er hatte es geschafft. Die Kathedrale – mit allem, was darin war – gehörte ihm.
    Seine Weitsichtigkeit war jetzt von Vorteil. Unter sich erkannte er jede Einzelheit an den Häusern im Bereich der Kathedrale. Er sah den Marktplatz. Hinter der Stadt auf dem alten Hügel konnte er einzelne Gestalten ausmachen, die sich auf den Mauern des Kastells bewegten. Überall auf dem welligen Hügelland sah er die winzigen weißen Tupfen der Schafe. Acht Meilen entfernt, auf gleicher Linie mit dem alten Kastellhügel, entdeckte er sogar den zerfallenen Kreis der grauen Sarsens von Stonehenge.
    Und als er von dieser Höhe aus über Sarum hinblickte, löste sich selbst die letzte Sünde des Hochmuts in nichts auf, verloren im Wunder dieses Ortes. Der alte Steinmetz kam wohlbehalten wieder herunter.

D ER T OD
    1348
An einem warmen Augustmorgen umfuhr ein kleines Schiff kurz nach Tagesanbruch die niedrige Landzunge und kam langsam durch das geschützte Hafenwasser, um an der Mole bei Christchurch anzulegen. Das Schiff hatte Wein aus der englischen Provinz Gascogne im Südwesten Frankreichs an Bord. Die Matrosen, acht grobschlächtige, handfeste Burschen, wurden von den Männern am Hafen begrüßt. Bald darauf begannen sie zu entladen.
    Sie wußten nichts von ihrem blinden Passagier und seinem kleinen Begleiter. Er trug ein schwarzes Gewand und war in einer Kiste mitgekommen, in die er im französischen Hafen geschlüpft war. Als die Kiste an die Mole geschafft worden war, lief er sofort hinaus. Er bewegte sich unbemerkt am Hafen entlang, und da er kein geeignetes Versteck fand, lief er die kleine Straße am Priorei-Friedhof vorbei und kam dann zu einer Reihe dichtgedrängter Giebelhäuser. Er wußte, daß sie schon bewohnt waren. Bald kam er in eine Straße mit Kopfsteinpflaster.
    Er fühlte sich nicht gut. Kurz bevor das Schiff anlegte, hatte er einen Anfall von Schüttelfrost gehabt; jetzt dröhnte sein Kopf. Er lief aus der Stadt hinaus und kam über eine Steinbrücke.
    Auf der anderen Seite der Brücke, fünfzig Meter weiter, stand eine kleine Mühle; aber danach suchte er nicht, denn er machte sich nichts aus Menschen. Dann sah er in der Nähe einen Haufen Unrat am Wasser. Er kroch hinein.
    Eine Stunde später flog sein Atem. Als er versuchte, sich aufzurichten, gelang es nur mit großer Mühe, er war so durcheinander, daß er vergaß, daß der Unrat zumindest Schutz bot, und taumelte ans Ufer. Bald darauf hatte er die Mühle erreicht, und obwohl er wußte, daß sie bewohnt sein mußte, war ihm das einerlei, und er schlüpfte durch ein Loch in den Lagerraum. Neben einem Mehlsack hielt er an. Und jetzt geschah etwas Schreckliches. Während der Fieberschauer bemerkte er benommen, daß er blutete; er fühlte Blut im Mund: Es kam wohl vom Zahnfleisch.
    Eine halbe Stunde später war er tot. Sein Begleiter blieb noch bei ihm. Als die Hausratte an der Leiche der fremden schwarzen Wanderratte – denn sie war der blinde Passagier gewesen – vorbeikam, sah sie, daß diese in einer Blutlache lag. Vorsichtig schnüffelte sie an der Leiche, unschlüssig, was sie davon halten sollte. In diesem Augenblick verließ der Floh, der eine Woche im Fell der schwarzen Ratte zugebracht hatte, die Leiche und siedelte auf die Hausratte um. Bald danach begaben sich die beiden in einen anderen Teil des Gebäudes.
    Am folgenden Morgen verhielt sich der Floh ungewöhnlich, da er entsetzlich hungrig war. Aus irgendeinem Grund wurde er vom Blut der Hausratte nicht satt. Als nun ein Wagen mit einem Mann und einem zehnjährigen Jungen an der Mühle vorfuhr und der Junge an den Mehlsäcken vorbeischlenderte, wo die Hausratte gerade herumstöberte, hüpfte der Floh, der sich im allgemeinen nicht von Menschen ernährte, auf den Jungen, um ihn zu probieren, aber das Menschenblut sagte ihm nicht zu, also sprang er wieder auf die Ratte zurück.
    Die Plage des Flohs war, daß das Blut der schwarzen Ratte in seinem Magen ein widerliches Eigenleben entwickelt und Bakterien hervorgebracht hatte, die bereits seinen Mageneingang verschlossen, so daß er kein neues Blut mehr aufnehmen konnte. Als der Floh das

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