Sarum
Stadium den ganzen Körper bedeckten und ekelerregende eiternde Geschwüre bildeten. Keiner der an Lungenpest Erkrankten überlebte, die von der Beulenpest Befallenen starben zu sechzig Prozent. Jeden Tag sah Nicholas die Wagen durch die Stadt rollen und die Leichen einsammeln.
Am Ende der ersten Woche wurden die Toten der Einfachheit halber in Gräben außerhalb der Stadttore begraben. Eines Morgens sah er, wie sich die Tür des Shockley-Hauses öffnete und der massige Körper William Shockleys kurzerhand draußen abgelegt wurde, bevor die Tür wieder zuschlug. Dort lag er zwei Stunden, bis ein Leichenwagen ihn mitnahm. Am nächsten Tag folgte seine Frau. Einen Tag später zwei Kinder und ein Diener. Aber diese Ereignisse gingen im allgemeinen Schrecken unter.
Auch das Kathedralgelände blieb nicht verschont. Zwei Tage lang war das Tor geschlossen in dem nutzlosen Versuch, den heiligen Grund von der Ansteckungsgefahr abzuriegeln, aber dann starb der Pförtner, und von da an blieb das Tor offen.
Manche Priester kamen, die Sterbesakramente zu spenden. Die Mönche zögerten nicht und gingen ruhig von Tür zu Tür, anscheinend ungestört in ihrem heiligen Dienst.
Über die ganze Stadt hatten sich Furcht und eine seltsame Teilnahmslosigkeit gelegt. Und wenn die bresthaften Leichen auf die Straßen gebracht wurden, verbreitete sich ein Übelkeit erregender Gestank. Einen Menschen aber fand Nicholas offensichtlich unbehelligt. Immer wenn er in der Stadt war, sah er Adam herumspazieren, den seltsamen Vikar, in seinem engen Priestergewand mit dem breiten Gürtel, an dem die Säckchen mit Zwiebeln und Knoblauch baumelten. Erstaunlicherweise wirkte er immer fröhlich. Die Leute hielten ihn für verrückt. Auch Nicholas selbst blieb ruhig. Er sagte sich fatalistisch, daß er wenig tun konnte, falls er als Opfer ausgewählt war, doch wie die meisten bedeckte er auf der Straße Mund und Nase mit einem Tuch. Er blieb für sich, aß allein und vermied Kontakt mit Kranken. Unter diesen Vorsichtsmaßnahmen ging er fast jeden Tag in die Stadt, arbeitete ruhig in der Kathedrale und kehrte von Zeit zu Zeit zum Schafstall auf der Hochebene zurück, um Bericht zu erstatten.
Ein Ereignis allerdings versetzte ihn eine Woche nach Shockleys Tod in Panik. Er machte gerade einen Schritt über die Wasserrinne in der Mitte einer Straße, als vor ihm eine Leiche von einem Karren rutschte und schwer ins Wasser fiel, wobei sie ihn von Kopf bis Fuß anspritzte. Die Nässe schockierte ihn. Es war wie eine Attacke – danach fühlte er sich besudelt. Als am nächsten Tag die Familie im Cottage nebenan von der Pest befallen wurde, beschloß er, weitere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. »Ab jetzt komme ich nur noch alle zwei Tage«, sagte er zu Agnes und der Familie. »Ich bleibe nicht mehr in Avonsford. Ich gehe an einen sicheren Ort, in den Turm von Salisbury, bis die Pest vorüber ist.« Die Kathedrale war bei Einbruch der Abenddämmerung leer, und niemand sah Nicholas die Stufen zum Turm hinaufsteigen. Niemand hatte ihn befragt, als er am Tag zuvor um die Schlüssel für die Turmtür bat, weil er im Turm Reparaturarbeiten auszuführen habe. Wahrscheinlich wußte keiner mehr, daß er sie hatte.
Er hatte einen Eimer mit Brot, zwei Krüge Ale, Käse, Pökelfleisch und Früchte dabei, genug für mehrere Tage. Er prüfte, ob das Treppenhaus an allen vier Ecken des Turms abgeschlossen war, bevor er sich auf den Weg zur Brüstung machte. Jetzt konnte ihn keiner mehr stören. Bald war es dunkel. Es war so warm, daß er beschloß, die Nacht neben der Brüstung unter den Sternen zu verbringen. Er sah zum Turmhelm über ihm auf. Er wußte, daß vor beinahe vierzig Jahren sein Urgroßvater Osmund im Jahr vor seinem Tod bis zur Spitze geklettert war. Vielleicht würde er das auch tun, zur Feier, wenn die Pest einmal vorüber war. Wie rein die Luft oberhalb der übelriechenden Straßen war! Neben den grauen Steinen, den offenen Himmel über sich, hatte Nicholas es sich bequem gemacht, er fühlte sich sicherer als die ganze letzte Woche und schlief ruhig ein.
Den nächsten Tag über blieb er im Turm. Es war seltsam, wieviel vom Stadtleben er von dort oben beobachten konnte. Die Toten wurden bald nach Morgengrauen abtransportiert; drei Leichen wurden an diesem Morgen aus Häusern am Kathedralhof gebracht. Mehrmals sah er Adam mit seinem breiten Gürtel heiter zur Stadt gehen und zurückkommen. Auch die folgende Nacht schlief Nicholas wohlig unter den
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