Sarum
geschwächt; die Tudors mit ihrer starken zentralen Regierung und ihren Gerichtshöfen wie der mächtigen Sternkammer verlangten ihre Unterwerfung. Heinrich VII. war darauf bedacht, seine Position zu festigen, und sein Sohn Heinrich VIII. war eine glanzvolle Persönlichkeit.
Er war das Ideal eines nördlichen Renaissancefürsten: Gelehrter, Musiker, Dichter, Athlet. Und vor allem war er orthodox. Der Papst hatte dem jungen Heinrich VIII. für seine Schriften zur Unterstützung Roms den ruhmvollen Ehrentitel ›Verteidiger des Glaubens‹ verliehen. War seine Frau nicht die Tochter des erzkatholischen Spanierkönigs und die Tante des Heiligen Römischen Kaisers Karl? Als in Deutschland Luthers protestantische Bewegung begann und mildere Reformatoren wie Erasmus die Auswüchse der römischen Kirche kritisierten, blieb die nördliche Insel England mit ihrem glaubenstreuen König konservativ und streng abseits.
Natürlich war nichts und niemand so katholisch wie Sarum und sein Bischof. Denn Heinrichs großer Diener Wolsey hatte die Diözese von Salisbury mit ihren ausgedehnten Besitztümern keinem Geringeren übergeben als Kardinal Campeggio, dem päpstlichen Legaten in England. Natürlich war der bedeutende italienische Kardinal selten anwesend. Die Diözese wurde lasch verwaltet. Der Chor der Kathedrale war auf weniger als zwölf Mitglieder geschrumpft. Aber was machte das schon, solange England und Sarum orthodox waren? Als aufrührerische Bücher wie einige lutherische Traktate oder Tyndales englische Übersetzung des Neuen Testaments in England erschienen, ließen König Heinrich VIII. und Wolsey sie verbrennen – wie es sich gehörte. Ohne das grausame Zufallsspiel der Natur hätte Sarum die Reformation niemals kennengelernt. Nicht, daß die Königin Katharina dem König keinen Sohn geschenkt hätte – sie hatte ihm in fast zwanzig Ehejahren vier Söhne und drei Töchter geboren; jedoch starben alle außer einer Tochter, Maria, bereits im Kindesalter.
Und wäre nicht der Bischof gewesen, so könnte man vielleicht weiter argumentieren, wäre Sarum nie protestantisch geworden. Denn die Rolle Campeggios in bezug auf ein Anliegen des Königs war bestimmend. Als Heinrich den Papst bat, seine Ehe zu annullieren, und der Papst die Sache schlauerweise Wolsey und Campeggio zur Entscheidung übergab, bestimmte Campeggios Verhalten das Ergebnis. Es war eine schwierige Situation. Denn zu jener Zeit kämpften Frankreich und der Habsburger Kaiser Karl, der Neffe der Königin, um die Herrschaft in Norditalien. Karl war mächtig: Sein Herrschaftsbereich erstreckte sich von Spanien bis hinauf zu den Niederlanden. Hätte der Papst die Annullierung gestattet, wäre Karl verärgert gewesen.
Der kluge Bischof von Salisbury wußte, wie er handeln mußte: Er hielt seine Umgebung hin, während er die Situation in Italien beobachtete. Kaiser Karl gewann, der Fall wurde Rom wieder zugeschoben – und es erfolgte keine Annullierung. Die Geduld Heinrichs war am Ende, Wolsey wurde gestürzt. Und im folgenden Jahr sagte der König von England sein Reich von der römischen Kirche los.
Shockley zitterte immer noch beim Gedanken an den alten König. Als England sich von Rom löste, war die Verfassung zumindest theoretisch eine absolute Herrschaftsform. Indem Heinrich VIII. sich – und alle englischen Monarchen nach ihm – zum spirituellen Oberhaupt der englischen Kirche machte, war er in seinem Reich sowohl König als auch Papst in einer Person, ein Anspruch, den sich kein mittelalterlicher Monarch je hätte träumen lassen. Als mutige Männer wie der Kanzler Thomas Morus protestierten, wurden sie enthauptet. Heinrichs VIII. schreckliche Willkürherrschaft legte sich wie ein Schatten über ganz England. Anne Boleyn schenkte ihm eine Tochter und wurde enthauptet. Jane Seymour gebar ihm den ersehnten Sohn und starb. Anne von Cleve wurde verstoßen. Catherine Howard enthauptet. Die Gemahlinnen Heinrichs gingen über die Bühne der Geschichte wie in einem Opfergang.
Auf das Leben der Bürger in Sarum hatte das wenig Einfluß. Obwohl der König mit Rom gebrochen hatte, erwies er sich im Grunde doch als konservativer Katholik.
Zwar hatte er Männer mit protestantischer Neigung gefördert: den gelehrten Erzbischof Cranmer, der ihm die nötige Lizenz erteilte, um Anne Boleyn zu heiraten; und in Sarum wurde Boleyns früherer Beichtvater Shaxton zum Bischof ernannt, als Kardinal Campeggio gehen mußte. Im nahen Winchester jedoch blieb Bischof
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