Sarum
Materialien hatte es den Anschein, als habe eine riesige Harke die Oberfläche dieses Stückes Erde aufgekratzt, bevor eine neue, noch rohe Welt eingerichtet werden sollte.
Schließlich gelangten sie an die Baumwollspinnerei. Es war ein langgestrecktes, dreistöckiges Backsteingebäude mit nackten, rechteckigen Fenstern und großen Toren im Abstand von zehn Metern. Schon bevor das Einfahrtstor geöffnet wurde, hörte Ralph das Summen der Maschinen von drinnen.
Er war jedoch in keiner Weise auf das vorbereitet, was er nun zu sehen bekam, und das sollte er niemals mehr vergessen. Die englische Baumwollindustrie verdankte ihren wahrhaft großartigen Aufschwung zwei Maschinen und zwei Materialien. Wie die Herstellung von Wollstoff verlangt auch die Baumwollproduktion zwei Verfahren: Spinnen und Weben. Die erste Maschine wurde für die Spinnerei erfunden. Seit vor langer Zeit die Shockleys ihre erste Walkmühle errichteten, hatten nur zwei wichtige Neuerungen im Spinnereiverfahren stattgefunden; die erste war die Entwicklung des einfachen Spinnrads, mit dem das Garn zusammengedreht werden konnte; die zweite, die erst im vergangenen Jahrhundert erfolgt war, war eine Verbesserung des Spinnrads, die JennySpinnmaschine, auf der eine Vielzahl von Spindeln gleichzeitig montiert werden konnten.
Bald jedoch wurde auch dieses Prinzip folgerichtig erweitert: Mittels mechanischer Antriebskraft konnten nun hundert oder mehr Spindeln auf einmal bewegt werden. Der Grund für den Siegeszug Manchesters war die Entwicklung der JennySpinnmaschine. Anfangs war das Garn aus dieser Maschine, dem die sorgfältige Behandlung am alten Spinnrad fehlte, nicht sehr haltbar. Da erfand Arkwright die Wasserspinnmaschine, die Weiterentwicklung einer älteren Maschine, die durch ein Rollensystem mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten das Material strecken und dann zwirnen konnte, wodurch ein Garn entstand, das zwar etwas rauh, jedoch haltbar und stark genug als Kett- und Schußfaden war.
Um aber eine Baumwolle herzustellen, die mit dem feinsten Import aus Indien konkurrieren konnte, mußte eine Maschine gebaut werden, die Garn herstellen konnte, das gleichzeitig fein und haltbar war. Sie kam 1779 unter der Bezeichnung Mule-Maschine auf den Markt, eine Kombination aus der Jenny- und der Wasserspinnmaschine, entwickelt von Samuel Crompton. »Die Mule-Maschine und der mechanische Webstuhl werden alles verändern«, bemerkte Forest. Dieser mechanisch betriebene Webstuhl war die zweite Erfindung, die den Siegeszug des Nordens begründete. Jahrhundertelang war mit der Hand gewebt worden. Nun hatte Edmund Cartwright einen mit Dampf betriebenen mechanischen Webstuhl entwickelt. »Wir brauchen zur Baumwollherstellung also fast keine Weber mehr«, sagte Lord Forest.
Und zwei Mineralien waren im Begriff, die Welt zu verwandeln: Eisen und Kohle, die den Bau dampfbetriebener Maschinen ermöglichten. All dies sah Ralph Shockley in der Spinnerei.
Doch es waren nicht die riesigen Maschinen, die scheinbar endlose Fäden drehten und ein Geräusch machten, gleichmäßig wie Soldaten auf einem immerwährenden Paradeplatz; es war nicht das monotone Stampfen der großen Dampfmaschine, die an einer anderen Stelle die Webstühle antrieb; es war nicht die Tatsache, daß er zum erstenmal mit eigenen Augen einen Fabrikbetrieb sah und begriff, was das wirklich bedeutete – das alte Verfahren, das Wessex-Verfahren seiner Ahnen, würde bald für alle Zeiten vergessen sein; es war nicht einmal das furchtbare Getöse der Maschinen und die Unnatürlichkeit dieses Ortes, was ihm Übelkeit verursachte.
Nein, es war die Tatsache, daß die Hälfte der Maschinen von zerlumpten Kindern bedient wurden.
»Kinder sind billiger«, erklärte Forest gelassen. »Hier werden sie besser behandelt als in anderen Fabriken. Ich habe verboten, daß man sie auspeitscht.«
Diesmal war Ralph vernünftig und schwieg. Als er sich in der riesenhaften vibrierenden Ungeheuerlichkeit umsah, wurde es ihm zum erstenmal in seinem Leben klar, daß er persönlich völlig machtlos war.
In den Monaten nach Ralphs Abreise trafen Barnikel und Agnes sich häufig. Sie wohnte jetzt in ihrem eigenen Häuschen in der New Street, doch meistens war sie nachmittags, wenn Kanonikus Porteus nicht zu Hause war, bei Frances. Dort sprach Barnikel zweimal wöchentlich vor und begleitete Agnes dann nach Hause – bis an ihre Tür. Er brachte auch Geschenke für ihre Kinder mit. Manchmal machte er mit ihr einen Spaziergang,
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