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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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diese Fahne sie dermaßen an? War es wegen der fernen Orte, war es der Gedanke an die Soldaten dort oder auf der Krim? Erinnerte es sie an das Empire und das Dienen? War es das Schuldgefühl wegen ihres eigenen sorgenfreien Lebens? Da wußte sie plötzlich, was sie zu tun hatte. Es war an der Zeit, die Gesuche an die Krankenhäuser zu schreiben.
    Joseph Porters stand mit leicht geneigtem Kopf und betrachtete die Abflußrinne der Straße.
    »Fortschritt, Sir, und Empire. Das ist unser Ziel. Macht keinen Fehler!«
    Porters nickte zerstreut, als Ebenezer Mickelthwaite, Lord Forests Beauftragter, seine scharfsinnigen Ansichten darlegte. »Und diese Rinnen, diese Häuser?« warf Porters ein. »Absolut sicher. So sicher wie die Bank von England.«
    »Das finde ich nicht. Sie sind verseucht. Wir werden wieder die Cholera in der Stadt haben.«
    Mickelthwaite musterte ihn. »Die Ausgaben für eure Neuerungen wären sehr hoch.«
    Porters zuckte die Achseln. »Das betrifft hauptsächlich den Stadtrat.«
    »Nicht nur. Schließlich zahlen wir Steuern.«
    Sie standen mitten im Geviert und sahen sich die Mittelrinne an, in der allerlei Abfälle von den rund vierzig angrenzenden Grundstücken und kleinen Parzellen eine dunkle morastige Brühe bildeten, der ein penetranter Gestank entströmte. »Das Wasser ist doch völlig verfault.«
    Es war ein Skandal. Die alten Gevierte, in denen zum großen Teil seit Jahrhunderten keine neuen Abwässerkanäle angelegt worden waren, stellten Krankheitsherde erster Ordnung dar. Die Abflußrinnen führten bei hohem Wasserstand scheinbar sauberes Wasser, aber in Wirklichkeit waren sie vollkommen verschmutzt und zogen aus der Umgebung weitere Giftstoffe heran.
    »Ich empfehle ein völlig neues Abwassersystem in diesem Geviert, neue Kanäle, neue Zuleitungen von jedem Haus. Es muß alles aufgegraben werden. Und diese Werkstätten«, Porters deutete angewidert auf zwei Reihen übereinandergestellter Holzschuppen, »müssen abgerissen werden.«
    »Wir bekommen aber Miete dafür«, maulte Mickelthwaite. »Nicht mehr. Sie müssen durch neue Gebäude ersetzt werden.« Porters wandte sich zum Gehen. Hinter sich hörte er den Beauftragten murren: »Zum Teufel mit diesem Doktor!« Er drehte sich lächelnd um und sagte sanft: »Das verstehe ich unter Fortschritt, Mr. Mickelthwaite.«
    Es gab noch einen heftigen Kampf deshalb. Viele Jahre lang hatte die Kontrolle der Abwasserkanäle dem städtischen Amt für öffentliche Straßen unterstanden – und dieses Amt hatte wenig zu einer Verbesserung beigetragen. Innerhalb der Gevierte lag sie bei den jeweiligen Grundstücksbesitzern, die im allgemeinen nicht das geringste unternommen hatten.
    Im Jahre 1849 hatte die Cholera Salisbury heimgesucht. Es hatte mehr als fünfzehnhundert Krankheitsfälle gegeben und Tote zu Hunderten. Ein gewisser Doktor Middleton, der der Stadt einen Besuch machte, war entsetzt beim Anblick der sanitären Einrichtungen. Er legte Protest ein. Widerstrebend ordnete der Rat eine Überprüfung der Wasserverhältnisse an: Tiefer liegende Abflußkanäle wurden empfohlen. Doch das wäre teuer geworden, und so nahm der Amtsschreiber das medizinische Gutachten nicht zu den Akten und warf Middletons Brief weg. Aber damit begann Doktor Middletons Kampagne.
    Es gab eine Schwierigkeit für den Rat: die Public-HealthAkte von 1848, einer der zahlreichen Erlasse, die von den Parlamenten des 19. Jahrhunderts verabschiedet worden waren und mit denen in England die moderne Schulbildung, Hygiene und verbesserte Arbeitsbedingungen in den Fabriken in die Wege geleitet wurden. Der Rat konnte gezwungen werden, eine Gesundheitsbehörde einzurichten. »Und damit wird die ganze Angelegenheit der Kontrolle der Straßenbehörde entzogen«, setzte Mickelthwaite Lord Forest verdrießlich auseinander. »Die Gesundheitsbehörde beaufsichtigt dann nicht nur die Abflußkanäle, sondern die Gevierte ebenfalls. Schlimmer noch: Wenn sie Verbesserungen vorschlägt, können die Kosten mit den allgemeinen Steuerabgaben erhoben werden.«
    »Steuern, die ich bezahle.«
    »Genau das.«
    Lord Forest, der sein großväterliches Haus auf dem Kathedralgelände längst aufgegeben hatte und dessen Interessen nun ganz im industrialisierten Norden oder bei seinen indischen Plantagen lagen und der nur zweimal in seinem Leben in Sarum gewesen war, besaß immer noch die Hälfte eines Gevierts in dieser Stadt. »Tut, was Ihr könnt«, ordnete er an.
    Dieser Kampf dauerte zwei Jahre. Einige

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