Sarum
Mr. Porters.« Er errötete. Sie wußte, wieviel Mut es ihn kostete, einer alleinstehenden Frau einen Besuch zu machen. »Lizzie bringt sofort den Tee.«
Sie führten eines der zwischen ihnen üblichen Gespräche. Wenn es um ihm vertraute Themen ging, war er ein sehr angenehmer Unterhalter. Sie sprachen über die neue Eisenbahnlinie, die bald nach Sarum führen sollte – das war sein Steckenpferd; dann über die Weltausstellung in London, zu der nicht weniger als sechs Millionen Besucher gekommen waren, und über den herrlichen Kristallpalast, in dem sie stattgefunden hatte.
»Die Ausstellung hat auch auf diesen Haushalt ihre Wirkung ausgeübt. Ich habe einen Gaskocher für die Küche gekauft«, berichtete sie lachend. »Ich entwickle mich seit kurzem zu einer Anhängerin von Reformen. Ich bin überzeugt vom Chartismus, Mr. Porters.«
»Die Chartisten sind praktisch gescheitert, Miss Shockley, als ihre Demonstration vor sechs Jahren erfolglos verlief.«
»Aber sie verfolgen einen guten Zweck.«
»Ein Mann, eine Stimme?«
»Ja.«
Die Chartisten-Bewegung mit ihrer Forderung geheimer Wahlen und allgemeinen Stimmrechts für alle Männer war für viele zu revolutionär und wurde mit Erfolg unterdrückt. Wenn Jane darüber nachdachte, fand sie die Argumente der Chartisten allerdings schwer widerlegbar. Natürlich hatte sie Angst vor ihnen; wenn schließlich alle Männer wählen durften, aber nur ein paar eigenen Besitz hatten, würde dann nicht die Mehrheit dafür stimmen, daß das Eigentumsrecht der wenigen aufgehoben werden müsse?
Beim Tee unterhielten sie sich über andere Dinge. Sie ist etwas ungebärdig, dachte Porters, und irgendwie unzufrieden. Es gibt keinen Zweifel – sie braucht einen Ehemann, damit sie ruhiger wird. Doch welch eine Stärke, welch ein offener Charakter! Nach dem Tee kam sie mit der Neuigkeit heraus. »Ich werde Sarum bald verlassen, Mr. Porters. Vielleicht sehen wir uns nicht wieder.« Die Tasse klirrte in seiner Hand. Innerlich verwünschte er sich deshalb. »Ich lasse mich zur Krankenschwester ausbilden, wahrscheinlich in London. Ich möchte bei Miss Nightingale arbeiten.«
»Das tut mir leid. Für Sarum wird das zweifellos ein großer Verlust sein.«
»Sarum kommt sehr gut ohne mich zurecht«, lachte sie. »Es wird froh sein, eine Chartisten-Anhängerin zu verlieren, nehme ich an.«
»Wann reist Ihr ab, Miss Shockley?«
»Das kann jeden Tag sein«, lächelte sie. »Ich fürchte, wir sehen uns nicht mehr.«
So war sie ihn ohne Schwierigkeiten los. Aber irgend etwas stimmte nicht. Als sie ihn ansah, spürte sie es.
Seine Hände zitterten, er hielt den Kopf gesenkt. Nun räusperte er sich: »Miss Shockley«, wieder mußte er sich räuspern, »bevor Ihr abreist, muß ich Euch etwas anvertrauen. Ich glaube… Ihr wart so gütig, mir Eure Freundschaft zukommen zu lassen…«
»Natürlich.«
»Würdet Ihr nochmals Eure Absicht überdenken, Miss Shockley? Es wäre mir die größte Ehre, wenn…« er hielt inne und suchte nach dem rechten Ausdruck, »… ich um Eure Hand anhalten dürfte.« Nun war es heraus.
Sie schwieg. Sie versuchte, freundliche Worte für ihn zu finden, doch vergebens. Sie saß da und starrte das Teppichmuster an. Schließlich hatte er das Gefühl, daß er etwas sagen müsse. »Es ist ein merkwürdiger Zufall, Miss Shockley, daß wir beide bereits eine Verbindung haben.« Nun spielte er seinen Trumpf aus. »Der Vetter meines Großvaters lebte hier in Sarum, nur daß er unseren Namen anders schrieb; es war der Kanonikus Porteus.«
Sein Anspruch auf Vornehmheit, auf eine Art von Verwandtschaft mit ihr! Das war schlimmer als alles, was sie erwartet hatte.
»Ich danke Euch, Mr. Porters. Ich bin gerührt, aber seht Ihr, ich bin fest entschlossen, Krankenschwester zu werden.« »Solltet Ihr jemals überlegen…«
»Ich danke Euch nochmals.«
Dann war er gegangen. Aber Janes Entschluß stand fest.
Am 22. Oktober traf ein Brief aus Afrika für sie ein.
Meine liebe Nichte,
Unser lieber Freund Crowther, der wunderbare schwarze Geistliche, von dem ich Dir schon soviel berichtet habe, ist auf der Plejade von einer triumphalen Expedition auf dem Benue zurückgekehrt, der, wie Du Dich vielleicht erinnerst, ein Nebenfluß des Nigers ist. Crowther ist der Ansicht, daß einige Könige und Häuptlinge, denen er begegnet ist, reif für die Christianisierung seien – Gott sei gepriesen! Crowther spricht immer noch tief bewegt von seiner Begegnung mit dem großen Palmerston,
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