Sarum
Stunden, wenn er im Einsatz war oder sie nichts von ihm hörte. Oft lag sie nachts schlaflos, manchmal weinte sie in ihr Kissen. Forest-Wilson lud sie eines Abends ganz unverbindlich zum Essen ein, doch sie lehnte ab. Er sagte nichts, aber sie schloß aus seinem halb belustigten, halb mitleidigen Blick, daß er den Grund erriet. Er wiederholte die Einladung nicht mehr.
Einige Tage darauf bemerkte Forest-Wilson, daß sie Nylonstrümpfe trug. Es muß also ein Amerikaner sein, folgerte er daraus.
Patricia und Adam vermieden ein bestimmtes Thema bewußt: ihrer beider Leben nach dem D-Day. Das war tabu. In diesen kurzen Wochen war jeder Augenblick für sie kostbar. Er selbst dachte des öfteren, daß er nichts dagegen hätte, wenn Patricia Shockley nach diesem Krieg eine unbefristete Reise nach Philadelphia machen würde. Und doch gab es Zeiten, in denen er nicht klug aus ihr wurde. Während ihres Zusammenseins führten sie häufig Gespräche. Und dabei äußerte sie über manche Dinge strenge und ausgefallene Ansichten, die ihn verwirrten, ja störten.
Das erstemal fiel ihm das in einem Geschäft in Fordingbridge auf, wo eine ältere Frau sie mit einer Ehrerbietung als »Miss« titulierte, die, so vermutete er, nichts mit ihrer Uniform zu tun hatte. »War das das gut funktionierende englische Klassensystem?« fragte er lachend.
Aber anstatt das von der komischen Seite zu nehmen, blickte sie ärgerlich drein: »Ich fürchte, ja. Nach dem Krieg wird das aufhören.« Sie deutete auf die vier Messinginitialen auf der Schulterklappe ihrer Uniform. »Siehst du das: F. A. N. Y.? Sie nennen uns die Fannies. Wir sind der Teil des Hilfskorps, der als Fahrer für die Offiziere arbeitet. Was denkst du wohl, wonach wir ausgewählt werden?«
»Entsprechend eurer Fahrpraxis wahrscheinlich.«
»Falsch! Nach dem Akzent, nach der Art, wie wir sprechen. Und… ob wir bekannt sind. Klassenzugehörigkeit, mit anderen Worten. Das ist angenehmer für die Herren Offiziere. Aber das muß anders werden. Ich bin natürlich ein Rebell.«
Bei der nächsten Gelegenheit sagte sie etwas noch Seltsameres. Sie sahen, wie ein GI auf dem Marktplatz einen Armvoll Waren einkaufte, und sie schüttelte mißbilligend den Kopf.
»Es ist schrecklich, daß sie so viel Geld haben«, war ihre Bemerkung. »Du meinst, daß die Engländer neidisch werden?«
»Natürlich nicht. Ich finde, daß es schlecht für die GIs ist. Das hat nichts mit Neid zu tun.«
Nach dem wunderbaren Erlebnis auf der Anhöhe über Avonsford, wo sie miteinander schliefen und dazwischen Picknick machten, saßen sie am Rand der Baumgruppe. Er wollte nun etwas mehr über ihre Ansichten herausfinden.
»Du sagst, daß sich nach dem Krieg alles ändern wird. Was meinst du damit?«
Sie lehnte sich gegen einen Baum. »Niemand ist der gleichen Meinung wie ich, weißt du. Wenn du eine von den anderen Fahrerinnen oder jemanden aus Sarum fragst: Was wird sein, wenn das vorbei ist?, dann sagt jeder: Es wird alles wieder normal. Weißt du, was normal ist?«
»Wahrscheinlich: einfach arbeiten.«
»Nein. Nichtstun. Hausangestellte. Billige Arbeitskräfte. Ausbeutung. So, wie es immer gewesen ist.«
»Du glaubst doch, daß sich das ändert.«
»Ja. Mit dem ganzen Klassensystem. Der Krieg ändert das. Die einfachen Leute merken, daß sie ständig nur herumkommandiert wurden, aber sie müssen lernen, etwas anderes als Hausangestellte zu sein. Sie verlangen nach einer Änderung.«
»Ist das gut oder schlecht?«
»Keines von beiden. Doch die alte Klassengesellschaft wird sich auflösen, und das halte ich für eine gute Sache.«
»Willkommen in Amerika«, sagte er lächelnd. »Ach, ich glaube nicht, daß wir das möchten«, erwiderte sie. Er war verwundert. »Warum nicht?«
»Zu kapitalistisch. Nichts als Raffgier.«
»Laß es mich so formulieren: Du möchtest, daß die Menschen frei sind, aber sie dürfen nicht reich werden; meinst du das?« Sie lachte. »Ja, irgendwie schon.«
»Mein Gott, bist du eine Sozialistin?«
Sie überlegte genau. »Nein. Das heißt, nicht wie die Russen und natürlich nicht wie die Faschisten, die zuerst behaupteten, sie seien Sozialisten. Aber Kapitalismus…« sie suchte nach einem Wort,»… ist ungerecht.«
»Geld ist also schlecht?«
»Geld ist die Wurzel allen Übels.«
»Das macht man daraus«, warf er ein, aber sie schüttelte den Kopf. »Also gut«, fuhr er, seiner Sache ganz sicher, fort, »eure Labour Party ist vielleicht deiner Ansicht, aber sicher
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