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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kleinen.
    Behutsam reichte er ihr das Baby zurück, dann ging er hinaus, nachdem er ein paar Worte mit den Frauen gewechselt hatte, die ihr beigestanden hatten.
    Es war warm draußen. Langsam und gedankenverloren stieg er auf die Anhöhe, blickte über die hügelige Landschaft hin und überlegte, was zu tun sei. Für ihn bestand kein Zweifel – das Kind war nicht von ihm. Sie hatte es empfangen, während er im Steinbruch arbeitete, und es war ihm auch ganz klar, daß Tark der Vater war. Mit Bitterkeit dachte Nooma an Kateshs plötzlich aufflammende Leidenschaft bei seiner Rückkehr; jetzt sah er den Grund. Sie hatte bereits gewußt, daß sie schwanger war. Er fühlte Ekel in sich aufsteigen, und bei dem Gedanken, daß seine Frau und sein Freund ihn zum Narren gehalten hatten, rang er seine plumpen Hände vor Wut.
    Er kam erst ein paar Stunden später zurück, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben. An jenem Abend aß er allein; als dann die Sterne schimmerten, setzte er sich vor die Hütte und überdachte noch einmal alle Möglichkeiten. Er wußte, daß er nach dem Brauch von Sarum seine Frau bei den Priestern anklagen konnte und daß sie zum Tode verurteilt würde, falls man sie schuldig fände. Tark müßte ihm Schadenersatz bezahlen. Dies war die Strafe für ein solches Verbrechen, und Nooma dachte eine Weile darüber nach. Aber er hatte Katesh einmal geliebt; er konnte sie nicht einem so schlimmen Schicksal ausliefern. Nein, er würde kein Wort darüber verlieren, er würde sie von jetzt an einfach links liegenlassen. Sein Stolz war so tief verletzt, daß seine Liebe zu ihr gestorben war. Die große Gestalt seines Freundes Tark, der sich über ihn lustig zu machen schien, tauchte dabei immer wieder vor seinen Augen auf. So saß er mehrere Stunden still da, machte Pläne, nickte ab und zu vor sich hin, und wenn ihn die Leute von Sarum jetzt gesehen hätten, wären sie überrascht gewesen: Seine Augen waren hart wie Stein geworden. Schließlich erhob er sich langsam. Drinnen brannten die Leuchter noch, und Katesh, ziemlich blaß, schlief schon neben ihrem Baby. Er betrachtete seine Frau, wandte sich dann voller Abscheu weg. Er sah das schlafende Kind an, und sein Gesicht wurde weicher, als er es mit seinen stummeligen Fingern zärtlich berührte. »Du sollst nicht leiden«, murmelte er, »du hast kein Unrecht begangen.«
    Dann ging er zu Noo-ma-ti und lächelte. Wenigstens dies war sein Kind, das war ein Trost. Als er jedoch ein paar Minuten später auf seinem Strohbett lag, verhärtete sich sein Gesicht wieder in Gedanken an Tark, und er flüsterte: »Ich werde mich rächen!«
    Es war eine stille mondlose Sommernacht. Der weiße Kreis von Stonehenge auf dem Hügelgrund lag unter dem schwarzsilbernen Himmel wie ein einziges, alles sehendes Auge.
    Dluc, der Hohepriester, befand sich allein im Henge und konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit auf die Sterne. Er versuchte die Erinnerung an das neunzehnte Mädchen, das er am Morgen geopfert hatte, auszulöschen und einige Stunden lang zu vergessen, daß nur noch ein Jahr für die Fertigstellung des Henge verblieb. Mit einem Seufzer entspannte er sich und ließ seine Augen über den glitzernden Himmel schweifen.
    Plötzlich sah er ihn, westlich vom großen Sternbild des Schwans: einen kleinen, sehr hellen Stern, den er nicht kannte, und bei genauerem Hinsehen entdeckte er dahinter eine breite, V-förmige Lichtwolke. Er wußte, daß dies einer der rätselhaftesten Himmelskörper war – einer jener Wanderer, die die Menschen Sterne mit Schweif nannten und die nur einoder zweimal im Laufe eines Menschenlebens erschienen. In den heiligen Überlieferungen hatten die Astronomen jahrhundertelang genaue Aufzeichnungen über sie gemacht. Sie wußten mit Sicherheit, daß es besondere Zeichen der Götter für die Menschen waren. Dluc versenkte sich ganz in die Betrachtung des neuen Sterns und nahm dabei seine auffälligste Eigenschaft wahr: Der Haarschweif jenes Götterboten war nicht silbern, wie nach den Überlieferungen zu vermuten gewesen wäre, sondern golden.
    »Das Haupt dieses Sterns ist mit Gold gekrönt«, sagte er laut. Dabei wurde ihm die möglicherweise ungeheure Bedeutung dieser Feststellung klar. Könnte es sein, daß endlich die Zeit der Erlösung gekommen war? Was sollte ein solches Omen am Himmel anderes bedeuten? Nach all den Fehlschlägen fiel es ihm selbst schwer, daran zu glauben. Die ganze Nacht über beobachtete Dluc den Stern sehr genau: Er bewegte sich

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