Sarum
langsam und wurde größer.
In der nächsten Nacht sahen ihn alle Bewohner Sarums. Die Priester versammelten sich im Henge, beobachteten gemeinsam den goldgeschweiften Stern und zeichneten seine Bahn genau auf. Vor Morgengrauen war er schon bis zur Hälfte ins Sternbild des Schwans hineingewandert. Am zweiten Tag konnte man ihn sogar noch in der Morgendämmerung erkennen.
Da bewies der Hohepriester seinen mutigen, unerschütterlichen Glauben. Vor allen Priestern erklärte er feierlich: »Die Götter haben Sarum und seine treuen Priester nicht verlassen. Dies ist das Zeichen, auf das wir gewartet haben.« Und er fuhr fort: »Bringt mir einen Widder, daß ich ihn sogleich dem großen Sonnengott opfern kann. Laßt ganz Sarum wissen, daß ab heute wieder der Sonnengott im Tempel verehrt wird.« Bald nach Tagesanbruch kamen Kronas Boten zum Henge und fragten, was das Omen am Himmel zu bedeuten habe. Erfüllt von neuer Zuversicht, erklärte der Höhepriester: »Sagt Krona, daß das Haupt des Sterns mit Gold gekrönt ist. Die Zeit unserer Rettung ist nahe: Seine Braut, die ihm Erben schenken wird, ist auf ihrem Weg hierher. Er möge sich vorbereiten!«
»Wo ist sie?« fragten die Priester. »Wo sollen wir sie suchen?«
»Der Stern trat ins Sternbild des Schwans ein«, sagte Dluc, »und der Sonnengott nimmt die Gestalt des Schwans an, wenn er über die Wasser fliegt. Ich glaube, wir sollten sie auf dem Wasser suchen.«
Seit Nooma die Untreue seiner Frau entdeckt hatte, verbrachte er wenig Zeit zu Hause. Er sprach nicht mit ihr darüber, auch änderte er sein Verhalten gegenüber Tark nicht, mit dem er weiterhin arbeitete. Er war jedoch nicht mehr derselbe wie früher. Er hatte entweder still geschwiegen oder sich rasch begeistert; nun war er meist kurz angebunden, erteilte den Steinmetzen knappe Befehle und schickte die Arbeiter mit einer Kopfbewegung an ihre Aufgaben. Aber da er eine so große Verantwortung trug und seine Fähigkeiten und sein Wissen außer Frage standen, fiel seiner Umgebung die allmähliche Veränderung nicht weiter auf. Im Lauf der Jahre hatte man gelernt, dem seltsam aussehenden kleinen Mann mit Respekt, ja mit Ehrfurcht zu begegnen. Er fuhr jetzt hie und da den Fluß zum Hafen hinunter, wenn er von der Ankunft eines Handelsschiffes hörte.
Es befanden sich meistens Sklavenmädchen an Bord. Wenn eines der Mädchen ihm gefiel, kaufte er es und brachte es in seine Hütte in der Nähe des Steinbruchs. Das sprach sich schnell herum, aber falls Katesh wirklich davon erfuhr, erwähnte sie das Thema ihm gegenüber nie.
Kurz nach dem Erscheinen des Kometen machte er wieder eine solche Fahrt. Als er nachmittags in das stille Hafengewässer kam, sah er das eben eingelaufene Schiff an der Mole im Windschatten des Hügels vor Anker liegen. Es war ein stabiles Holzschiff mit einer doppelten Ruderbank, das von der festländischen Atlantikküste bis zur Insel einen weiten Weg zurückgelegt hatte. Die Mole war bereits voll von Menschen. Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet; Bauern aus der ganzen Gegend waren die Flüsse hinuntergepaddelt und drängten sich, um Boot und Fracht in Augenschein zu nehmen.
Die Segler boten einen interessanten Anblick: kleine dunkelhaarige Männer mit der gebräunten Haut der Südländer. Am meisten fiel Nooma ihr Anführer auf. Er war etwa so alt wie er selbst, hatte einen kahlen runden Schädel und einen schwarzen Bart aus zahllosen glänzenden Löckchen, der zu einem kurzen Viereck zurechtgestutzt war. Er hatte sanfte braune Augen, eine Stupsnase, ein gewinnendes Lächeln, das eine Reihe weißer Zähne entblößte und eine weiche, verführerische Stimme. An den Fingern trug er ein Dutzend Goldringe, die er ständig aneinanderklingen ließ.
Während die Menge die Szene gebannt verfolgte, brachte der Mann seine Waren herbei: Goldschmuck, der in der Sonne aufglänzte, lange Schnüre aus Glasperlen, Amphoren mit Wein und wunderschöne, farbige Gewänder. Nun kam das beste Angebot des Händlers. Er verkündete, daß sie jetzt etwas zu sehen bekämen, was sie nie zuvor gesehen hätten – ein menschliches Wunder.
Es sei ein Mädchen, erklärte er, doch nicht irgendein Mädchen: das schönste Geschöpf auf der Welt, eine Prinzessin in ihrem Land, die durch ein tragisches Schicksal in die Sklaverei verkauft worden sei, eine Jungfrau, fünfzehn Jahre alt. Er schnippte mit den Fingern, und die Seeleute brachten eine von Kopf bis Fuß in schweres Tuch gehüllte Gestalt
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