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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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herbei. Mit schwungvoller Geste nahm er das Tuch ab, und die Menge hielt den Atem an. Auf dem Schiffsdeck stand, völlig nackt, ein Mädchen, wie es noch keiner von ihnen je gesehen hatte. Mit ihren blauen Augen starrte sie geradewegs über die Köpfe der Leute hinweg, und ihr Haar, in dem sich die Sonne fing, daß es aufleuchtete, war golden! Zum erstenmal sah man auf der Insel eine blonde Frau.
    Die Menschen waren so ergriffen, daß minutenlanges Schweigen herrschte, und der schlaue Händler sah das mit Genugtuung. Er versicherte ihnen, daß das Haar echt sei. Zum Beweis zog er ihr ein paar Haupt- und Körperhaare aus und reichte sie zur Begutachtung herum. Das Mädchen war ein Jahr zuvor aus einem der vielen namenlosen Stämme mitgeschleppt worden, die in den weiten, auf keiner Karte verzeichneten Landstrichen zwischen den östlichen Mittelmeerländern und dem fernen Asien umherzogen. Sie war nach Westen gebracht und an den Kapitän eines Schiffes verkauft worden, der auf den großen Flüssen Südwesteuropas Handel trieb. Schließlich hatte dieser geschickte Händler sie entdeckt, als er gerade zu der Insel im Norden aufbrach, und da er sogleich ihren Wert für die dunkelhaarigen Inselbewohner erkannte, bezahlte er einen hohen Preis für sie.
    Nooma erschien sie wie eine Offenbarung. Er mußte das Mädchen unbedingt haben. Als der Händler nun die Angebote für sie einholte, sprang der kleine Steinmetz auf und gebärdete sich wie wild. »Fünf Felle! Fünf Felle!« schrie er.
    Die Menge lachte. Sein Angebot war für eine solche Rarität lächerlich gering. Der Preis würde die Möglichkeiten Noomas bei weitem übersteigen.
    Plötzlich wurde die Auktion unterbrochen, und zwar durch das Zeichen eines Priesters, der nach vorn trat. Ruhig ging er auf den Händler zu; die Menge teilte sich und ließ ihn durch. Mit wenigen Worten erklärte er dem Händler, daß das Mädchen für den Tempel bestimmt sei. Der Händler verneigte sich ehrfürchtig, und das Mädchen wurde sogleich wieder in das Tuch gehüllt. Der Mann war befriedigt. Er wußte, daß die Priester einen guten Preis zahlen würden. Als das Mädchen rasch weggeführt wurde, ging ein Seufzer durch die Menge. Zweifellos sollte sie geopfert werden, wahrscheinlich zur Einweihung des neuen Henge. Als die Priester das Mädchen zu Dluc brachten und ihm berichteten, wo sie sie gefunden hatten, starrte er sie überrascht an. Während sie sie enthüllten, fing sich das Sonnenlicht in ihrem goldenen Haar, daß es aufleuchtete.
    »Diese muß es sein«, murmelte der Hohepriester, »ihr Haupt ist wahrhaftig mit Gold gekrönt.« Er prüfte das lange, weiche, goldene Haar und fand, daß es echt war. »Woher kommst du?« fragte er.
    Das Mädchen sprach eine ihnen unbekannte Sprache, ließ sie jedoch durch Zeichensprache wissen, daß sie von weit her aus dem Osten kam, von einem Ort, wo die Berge schneebedeckt waren. Sie sei die Tochter eines Stammeshäuptlings, der im Kampf gefallen war. Einige Stunden danach stieg Dluc auf den Hügel zu Kronas Haus und verkündete ohne Umschweife: »Hier ist das Mädchen, das die Zeichendeuter vorausgesagt haben. Der Fluch ist von Sarum genommen. Sie wird dir Erben schenken.«
    Krona sah das Mädchen unverwandt an, fuhr mit seinen langen Händen staunend durch ihr Haar, zog ein paar Strähnen aus und untersuchte sie. »Vielleicht«, murmelte er, »vielleicht ist das wahr.« Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden, und zum erstenmal seit Monaten lächelte er. »Wie heißt sie?« fragte er.
    Dluc überlegte. »Menona«, antwortete er dann. Das bedeutete: Sie, die versprochen wurde.
    Am nächsten Tag traute Dluc Krona und das Mädchen. Zuvor jedoch gab er dem Herrscher eine strikte Anweisung: »Du mußt dem Sonnengott einen Widder opfern und ihn als den größten aller Götter anerkennen.« Krona neigte das Haupt und sagte: »Es soll sogleich geschehen.« Als der Hohepriester dies hörte, wußte er, daß die Schreckensherrschaft zu Ende war.
    In der folgenden Nacht stand Dluc allein im Henge; immer wieder sah er zum Himmel auf und murmelte: »Nie mehr, Sonnengott, werde ich an dir zweifeln.« Und bei Sonnenaufgang opferte er den Widder.
    In erstaunlich kurzer Zeit schien der Herrscher sich zu erholen. Er verließ sein Haus wieder, kontrollierte seine Felder und empfing die Händler wie früher. Das Heer der Spione war vergessen, die Bauern kamen wieder ohne Furcht zu ihm, damit er Recht spreche und ihnen Rat erteile.
    Das Mädchen war ein

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