Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
wirkliches Wunder. Dluc hatte ihr in der Zeichensprache erklärt, daß sie seinem großen Herrscher von den Göttern gesandt worden sei und ihm Kinder schenken solle. Sie verstand sogleich und nickte ruhig. Sie war mit ihrem Schicksal zufrieden, und tatsächlich war das Leben in Kronas Haus, verglichen mit dem Sklavenleben, eine Verbesserung.
    Dluc, der sie genau beobachtete, war überzeugt, daß sie wirklich die Tochter eines Häuptlings war, denn sie trug eine Würde zur Schau, die von edler Abstammung zeugte. Dluc konnte nun ohne Bedenken Omnic aus seinem Versteck in den Bergen zurückrufen, und im Herbst wurden beim Fest der Tagundnachtgleiche die Zeremonien für den Sonnengott mit all dem früheren Prunk wiederaufgenommen. Wie einst führte Krona das Volk von Sarum an, und sie brachten in Frieden im heiligen Henge ihre Verehrung dar.
    Nooma bescherte der Sommer jedoch keine Erleichterung, sondern Befürchtungen, die wie eine Wolke am Horizont aufzogen und bald gleichsam den ganzen Himmel zu verdüstern schienen. Die Arbeit am Henge ging nicht schnell genug voran. Es lag an den Steinmetzen, die die Sarsens bearbeiteten. Die letzten beiden Jahre hatte Nooma sie unablässig bei der Arbeit angefeuert.
    Dann wurde der eine oder der andere krank und mußte ersetzt werden. Neue Arbeiter mußten so gut eingewiesen werden, daß ihnen keine Fehler unterliefen. Nooma, der seine Zeit zwischen Steinbruch und Henge teilte, hatte Mühe, alles zu überwachen. So wurden in einem Zeitraum von fünf Jahren nicht genügend Steine zum Henge befördert. Es war vorauszusehen, daß die noch fehlenden Sarsens nicht rechtzeitig fertig würden. Die feierliche Einweihung des Henge sollte im folgenden Sommer stattfinden. Wenn der Boden im Frühling weich war, und das war häufig der Fall, war es zu spät, weitere Steine zum Heiligtum zu bringen. Es blieb nur ein Ausweg.
    »Wir müssen jetzt alle Sarsens zum Henge schaffen«, sagte der Steinmetz, »wir können sie an Ort und Stelle zurechthauen.« Als er den Priestern seine Schwierigkeiten mitteilte, waren sie verärgert. Dluc runzelte unheilverkündend die Stirn. »Wenn es nötig ist, muß jeder Mann in Sarum am Henge mithelfen«, befahl er. »Es darf keine Verzögerung geben.«
    Ein Befehl wurde erlassen, nach dem die Priester keinen Mann in Sarum mehr verheiraten durften, der über fünfzehn Sommer alt war, wenn er in diesem Jahr nicht beim Transport der Steine mit Hand anlegte. Drei Tage nach der Tagundnachtgleiche waren fast tausend Mann am SarsenSteinbruch versammelt, und Tark half bei ihrer Beaufsichtigung. Tark empfand Mitleid mit dem kleinen Steinmetz.
    Wenn er ihm auch die Frau weggenommen hatte, verringerte das in keiner Weise seine Achtung vor Noomas Können, und er tat alles, um ihn zu entlasten. Nooma sah das. Vor allem aber sah er die Augen der Priester, als er an die letzten Arbeiten ging; er zitterte innerlich vor ihren kalten Blicken. Zehn Sarsens mußten noch transportiert werden. Das hatte auf zweimal zu geschehen. Die Steine wurden auf die Holzrahmen gebunden, und am fünften Tag nach der Tagundnachtgleiche machte sich die große Karawane, eingehüllt in eine Staubwolke, auf den Weg über die Anhöhen.
    Vier Tage vor der Wintersonnenwende erreichten fünf Sarsens den Henge. Nie zuvor war der Weg in so kurzer Zeit bewältigt worden. Die Männer, bereits völlig erschöpft von dem unmenschlichen Tempo, das ihnen abverlangt wurde, machten sich ein zweites Mal auf. Trotz des Zuspruchs von Nooma und Tark, trotz der Peitschen der Priester zogen sie ihre ungeheuren Lasten diesmal langsamer voran. Die Katastrophe kam mit einem Schneesturm, der mit großer Heftigkeit einsetzte. Drei Tage lang wütete er ohne Unterlaß – ein beißender Nordostwind trieb den Schnee in riesigen Wächten zusammen. Unterdessen pferchte man die Männer in eilig errichtete Hütten und Zelte aus Häuten. Die plötzliche Kälte war entsetzlich. An die hundert Männer erlitten Erfrierungen.
    Nooma beobachtete mit Schrecken, wie vor seinen Augen zuerst die Holzrollen, dann die Rahmen und schließlich sogar die gewaltigen Sarsens unterm Schnee verschwanden. Zwei Steine wurden von einer Schneewehe zugedeckt. Am zweiten Tag mußten Nooma und Tark in den wütenden Schneesturm hinaus und mit Pfählen die Stellen markieren, wo die Steine lagen. Am dritten Tag waren nur noch die Spitzen der Pfähle zu sehen.
    Da endlich hörte der Schneesturm auf.
    Als Nooma über das schneebedeckte Hochland blickte, sank sein

Weitere Kostenlose Bücher