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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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das verzeihe?«
    Tark starrte Nooma überrascht an. Er hatte wirklich gedacht, daß der Steinmetz nichts gemerkt hätte. Tark wurde totenbleich; als er in Noomas verändertes Gesicht blickte, hatte er zum erstenmal seit vielen Jahren Angst. In diesem Moment wußte er, daß Nooma ihn töten würde. Wie es geschah, daß an diesem Morgen das Gerüst an einer Seite plötzlich einstürzte, konnte niemand je erklären.
    Tark, der Flußschiffer, der zufällig darunter stand und gerade etwas sagen wollte, hatte nicht einmal Zeit, nach oben zu schauen, als der vier Tonnen schwere Querstein vom Gerüst kippte, auf Tarks Kopf niedersauste und ihn zerschmetterte.
    Niemand hatte gesehen, ob etwas mit dem Gerüst nicht in Ordnung war. Alle Augen waren bis zu diesem Zeitpunkt des Unglücks auf den Querstein gerichtet, der auch zwei Arbeiter verletzt hatte. Einem brach er das Schlüsselbein, dem anderen ein Bein. Aber Nooma, der direkt unter dem Querstein gestanden hatte, konnte sich wie durch ein Wunder zur Seite werfen. Er kam mit ein paar Schrammen davon. Zwei Tage später hob man den Querstein schließlich an seinen Platz. Die Priester äußerten sich nicht zu dem Unfall. Nooma hoffte, daß sie die Wahrheit nicht ahnten.
    Als Nooma Katesh von dem Vorkommnis berichtete, wurde sie blaß, ihre Lippen zitterten, sie schwankte und suchte nach einem Halt. Dann stand sie ganz still da und sah zu Boden.
    »Nur durch den Willen der Götter bin ich am Leben geblieben«, sagte er.
    Katesh schien es nicht zu hören. Aber Nooma konnte sehen, daß sie die Tränen zurückhielt, und er triumphierte insgeheim. Plötzlich schaute Katesh auf und blickte ihn mit ihren großen dunklen Augen fest an. Sie versuchte nicht, ihr Geheimnis zu verbergen – ihr Mann sollte den Schmerz in ihren Augen sehen. Zum erstenmal in ihrem gemeinsamen Leben sahen sie einander ehrlich in die Augen, und Katesh erkannte Triumph in seiner Miene, wie sie ihn schon in seinen Worten gespürt hatte. In diesem Augenblick war sie absolut sicher, daß der Steinmetz Tarks Tod verursacht hatte.
    Nooma dagegen sah in den Augen Kateshs die nackte Seele einer Frau, die ihren Liebhaber verloren hat. Einen Augenblick lang hatte er ein schlechtes Gewissen. Bevor Katesh die Augen wieder senkte, blitzten Haß und Verachtung darin auf. Zum erstenmal waren die beiden offen zueinander, und das war das Ende ihrer Ehe.
    In den nächsten Tagen ging Katesh sehr still durch die Hütte. Sie kochte für ihren Mann und tat ihre Pflicht als Hausfrau, doch so, als sei er ein Fremder. Sie sprachen nur das Nötigste und kamen einander nicht nahe.
    Drei Tage nach Tarks Tod wurde der letzte Querstein an seinen Platz gehoben, und fünf Tage vor der entscheidenden Sonnenwende war der neue Stonehenge vollendet.
    Als Dluc, der Hohepriester, den neuen Tempel begutachtete, den Nooma gebaut hatte, war er zutiefst bewegt. »Es ist vollbracht«, murmelte er. Denn nicht nur das Bauwerk, nicht nur der Zyklus von Sonne und Mond waren vollendet, sondern auch die unvorstellbar schwere Zeit, die das Volk von Sarum überstehen mußte, war zu Ende. Für Dluc symbolisierte all dies der vollkommene Steinkreis. Sonne und Mond, Tag und Nacht, Winter und Sommer, Frühling und Erntezeit: alles war in den Henge einbezogen. Leben und Schicksal von Sarum lagen in den Steinen, die den endlosen Gang der Tage und die Harmonie der Himmel aufzeichneten.
    Fünf Tage vor der Sonnenwende ging der Herrscher Krona wie in vergangenen Zeiten auf die Wildschweinjagd.
    Im Morgengrauen ließ Dluc seine Sänfte kommen und gab den Läufern Anweisungen.
    Vor der Jagd wurde nach altem Brauch ein Ritual vollzogen, in dem die Mondgöttin um ihren Segen für die Jäger angerufen wurde. Dluc ließ sich auf die weite Lichtung am Eingang des Osttals tragen, wo sich die Jäger versammelten.
    Welch schöner Anblick! Da fühlte auch er sich wieder jung. Fünfzig Jäger in dicken Lederwämsern, mit Bögen, prächtigen Köchern mit Pfeilen und massiven schweren Speeren mit Feuersteinspitzen, die man für die Wildschweinjagd benutzte. Krona stand in ihrer Mitte wie eh und je: groß und eindrucksvoll, mit seinem gewellten weißen Bart, dem bunten Kopfschmuck mit langen grünen Federn, den er auf der Jagd am liebsten trug. Sein rauhes Lachen schallte über die Lichtung. Neben ihm stand die leichte Sänfte aus Kiefer, die von vier Läufern getragen wurde. Es war ein großes Erlebnis für die Männer, wieder mit ihrem Herrscher auf die Jagd zu gehen. Der alte

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