Sarum
müssen den Göttern gehorchen«, erwiderte Dluc. »Wir müssen ihnen vertrauen, und sie werden uns nicht verlassen.«
Der Tag verlief, ohne daß einer von beiden nachgegeben hätte.
Mit unglaublicher Willenskraft klammerte Krona sich ans Leben, manchmal versuchte er, den Priester zu überreden, dann wieder verfluchte er ihn. Einmal wollte er ihm sogar ans Leben. Aber er wußte bereits, daß er machtlos war; niemand, nicht einmal seine Diener, würden es wagen, den Entschluß des Hohenpriesters anzuzweifeln.
Während dieser harten Diskussion setzten bei Menona die Wehen ein.
Der Anblick des tödlich verwundeten Krona war ihr so nahegegangen, daß die Geburt des Kindes sich fast einen Monat zu früh ankündigte. Menona wurde in ein kleines Zimmer des Hauses gebracht, und zwei erfahrene Frauen standen ihr bei.
Als die Sonne unterging und die Leuchten angezündet wurden, schrie Krona qualvoll auf: »Priester, ich sterbe! Rette mein Kind!« Dluc weinte. Um Mitternacht hörte er den Schrei des neugeborenen Kindes und verließ Kronas Gemach.
Erst nun, als diese letzte Prüfung bestanden war, erkannte Dluc die tiefe Weisheit des göttlichen Ratschlusses: Der Anblick, der sich ihm bot, entlockte ihm einen Freudenruf: Die Frauen hielten zwei Kinder im Arm, die die goldhaarige junge Frau Sarum geschenkt hatte – einen Jungen und ein Mädchen. Trotz der vorzeitigen Geburt waren beide gesund. Menona lächelte schwach.
»Gebt mir das Erstgeborene«, befahl der Priester; er wußte, daß sie ihm das Mädchen geben würden. »Den Göttern haben wir das Erstgeborene versprochen«, rief er aus. »Und jetzt hat Sarum einen Erben.«
Es war der Abend vor der Sonnenwende.
Vor der Einweihungsfeier mußte die Bevölkerung von Sarum noch einen schrecklichen Tag überstehen.
Nooma und seine Frau standen bei Morgengrauen auf, sie sahen einander angstvoll an und setzten sich vor ihre Hütte. An diesem Tag sollten, wie jeder in Sarum wußte, die neunzehn Opfer ausgewählt werden; die Menschen zitterten, während einige Priester feierlich von Gehöft zu Gehöft schritten, mit ihren Ritualmessern aus Bronze auf ihre Opfer deuteten und sie wegführten. Niemand konnte voraussehen, wen die Priester wählen würden. Manchmal war es ein Missetäter oder jemand,
der sie unbedacht beleidigt hatte; aber es konnte genausogut ein unschuldiger Arbeiter sein oder die Tochter eines reichen Bauern. Weder Mann noch Frau, weder Jung noch Alt – keiner war vor den Priestern sicher.
Nooma wartete mit seiner Familie voller Furcht vor dem Kommenden. Ihn beunruhigte verschiedenes. Da war der Mord an Tark. Ahnten die Priester etwas? Der Steinmetz wischte sich die Stirn. Natürlich wußten sie es. Es war töricht anzunehmen, daß ihnen irgend etwas verborgen bleiben könnte.
»Ich glaube, sie holen mich«, flüsterte er schließlich. Katesh sah ihn überrascht an. »Den Baumeister des Henge?« Sie zuckte die Achseln. »Das glaube ich nicht. Sie werden überhaupt nicht hierherkommen«, behauptete sie.
Aber sie kamen doch. Zwei Priester, ein junger und ein alter, kamen langsam den Pfad herunter, als die Schatten der nahen Bäume schon bis zur Hütte reichten. Als sie schließlich vor der verängstigten Familie standen, nahm der junge Priester ein langes Bronzemesser und gab es schweigend dem älteren, der damit auf Noomas kleinen Sohn wies. Da schrie Nooma auf:
»Nein! Nehmt mich! Ich habe gemordet! Ich habe den Tempel befleckt! Ich muß sterben!« Und er stürzte auf die Priester zu. Doch der junge Priester schüttelte den Kopf. Verwirrt wandte Nooma sich um und bemerkte seinen Irrtum: Das Messer zeigte gar nicht auf Noo-ma-ti, sondern auf Katesh, die unmittelbar hinter dem Jungen stand; ihre großen Augen starrten den jungen Priester jetzt ungläubig an.
»Es ist der Wille der Götter«, sagte dieser.
Da wußte Nooma, daß die Priester alles sahen und daß ihre Gesetze zwar grausam, jedoch furchtbar gerecht waren. Die Feierlichkeiten begannen, als der Abend dämmerte. Etwa viertausend Menschen waren bereits um den Henge versammelt. Auf Kronas Ehrenplatz standen zwei auserwählte Männer: Einer hielt den goldverzierten Schild des Herrschers, der andere seine Keule mit der in Gold gefaßten Bernsteinverzierung im Zackenmuster. Bei Sonnenuntergang zogen die Priester in einer langen Prozession ein; hinter ihnen wurden die Opfer geführt. Am Beginn der Kultstraße erwarteten sie den Sonnenuntergang.
Außer Dluc waren die Priester weiß gekleidet, und die
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