Sarum
Muna, der oberste Jäger, grauhaarig und rotgesichtig, die untersetzte Gestalt in einem schwarz-roten Gewand, lief geschäftig hin und her. Auf dem Kopf trug er ein kleines Geweih als Wahrzeichen seines Amtes, und in der Hand hielt er ein mit Bronze und Gold geschmücktes Jagdhorn. Er wies die Männer an, die die Hunde führten – acht Paar der schlanken, schnellen Jagdhunde, die einer Geruchsspur den ganzen Tag folgen konnten; ihr aufgeregtes Hecheln dampfte in der kalten Morgenluft. Muna wurde von seinem Enkel, einem großäugigen zehnjährigen Jungen, begleitet. Dies war seine erste Jagd.
»Krona hat versprochen, daß er diesen Jungen selbst mit Blut zeichnet, wenn wir heute Beute machen«, grinste der alte Mann. Bei diesen Worten wandte der Herrscher sich um. Krona sah in das erregte Gesicht des Jungen und dachte daran, wie sein eigener Vater, als er, Krona, im gleichen Alter war und zum erstenmal mit auf die Jagd durfte, ihm das Blut des Wildbrets über die Wange gestrichen hatte. Dieses Zeichen hatte er wochenlang nicht abgewischt, denn es war das erste Zeichen seiner Männlichkeit. »Ja, du wirst mit Blut gezeichnet werden«, lachte er. Muna stieß kurz ins Horn, Krona stieg in die Sänfte, und die ganze Gruppe brach ins östliche Tal durch die Wälder auf. So wollte der Hohepriester Krona in Erinnerung halten, denn der Herrscher wurde an jenem Abend schwerverwundet zurückgebracht. Obwohl die Jäger von Sarum glaubten, daß ihre Art der Saujagd die beste sei, hatte sie einige Nachteile. Wenn sich die Jäger durch den Eber täuschen ließen, konnte er leicht einen von ihnen töten, und wenn er wie beabsichtigt getrieben wurde, war der Herrscher unentwegt den Angriffen des Tieres ausgesetzt.
Doch gerade Krona gab dieser Jagd den Vorzug. Dabei bildeten die Jäger, sobald die Hunde den Eber – gewöhnlich in einem Dickicht – gestellt hatten, eine lange einkreisende Treiberkette. Wenn der Kreis sich schloß, kamen die Jäger mit viel Lärm hinter dem Eber durch den Wald nach vorn und trieben ihn aus seinem Versteck zur Mitte hin, wo der Herrscher mit seinen besten Jägern wartete.
Die Jagd war plangemäß verlaufen: Das Wildschwein war an die Stelle getrieben worden, wo Krona wartete, war über die Lichtung geprescht, wo die Jäger warteten. Aber dann ereignete sich das Unglück. Das rasende Tier durchbrach die Linie der Jäger, stürzte sich auf Krona und zerfetzte mit seinen Hauern den Bauch des Herrschers. Er lebte noch, als sie ihn an diesem Abend ins Tal brachten, aber er hatte viel Blut verloren und war bereits aschfahl.
Dluc glaubte, daß Krona noch in der Nacht sterben werde. Der Hohepriester verband die Wunden, flößte Krona ein wenig Kräuterbrühe ein und umsorgte ihn mit Menona die ganze Nacht.
Krona lag im Sterben. Er wußte es. Seine tiefen Wunden begannen schon zu eitern – weder Medizin noch die Gebete des Hohenpriesters halfen.
Nun würde Sarum die letzte und härteste aller Prüfungen bestehen müssen, die die Götter auferlegt hatten.
Keiner hatte das Versprechen vergessen, daß zu Beginn der Arbeit an dem neuen Stonehenge gegeben wurde. Kronas erstgeborenes Kind sollte den Göttern geopfert werden, und dafür würde ihm, nach Aussage der Zeichendeuter, ein zweites, sein Erbe, geboren.
»Du darfst das Kind nicht opfern.« Es war nur ein Flüstern, traf den Priester jedoch mitten ins Herz. Er schwieg; er konnte den Herrscher nicht ansehen.
»Das Kind ist alles, was wir haben«, sagte Krona leise. Das war richtig, und doch wußte Dluc darauf nichts zu sagen. Mühsam stützte der Herrscher sich auf und blickte den Hohenpriester eindringlich an. »Versprich mir«, flüsterte er, »daß du das Kind den Göttern nicht gibst.«
Dluc war den Tränen nahe, aber als Hohepriester wußte er, was getan werden mußte. »Wir müssen den Göttern gehorchen«, sagte er.
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als würde Krona wütend werden, aber er war viel zu geschwächt. Statt dessen versuchte er Dluc zu überzeugen, was noch schwerer zu ertragen war. Sanft und geduldig setzte Krona dem Priester auseinander, warum er das Opfer nicht darbringen dürfte. »Meine Erstgeborenen wurden den Göttern schon gegeben, als meine beiden Söhne ertranken«, sagte er. »Ihr Priester habt die Zeichen falsch gedeutet.« Er bedrängte Dluc, Sarum nicht zu zerstören. Er warnte ihn vor dem Chaos, das folgen würde, wenn er ohne Erben sei. Seine Argumente waren unangreifbar und trotzdem sinnlos.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher