Sarum
rief laut:
»Größter aller Götter, Sonnengott,
Große Mondgöttin,
Eure Diener gehorchen.«
Im neuen Stonehenge kam der Sonnengott in sein Reich: Von Licht pulsierend, stieg er in den türkisfarbenen Himmel auf. Und gegenüber stand minutenlang das Silbergestirn des Mondes in vollkommener Opposition über dem vollkommenen Steinkreis, ehe er in den westlichen Horizont tauchte. Der Sonnengott und die Mondgöttin hatten den Menschen ihr Antlitz gezeigt.
Die Opfer wurden in rascher Folge auf den Altar gelegt.
Nooma blickte angestrengt hin. Katesh war das siebente. Er sah, wie zwei Priester ihren bleichen Körper hielten, sah, wie er auf den Stein aufschlug und sich aufbäumte, als das blutige Messer des Priesters sich hob, in der Sonne blitzte und niedersauste.
S ORVIDUNIUM
Gut zweitausend Jahre nach dem Bau des Sarsen-Kreises in Stonehenge, im Jahr 42 n. Chr. hatte der damals mächtigste Mann der Welt noch nie von Sarum oder seinem steinernen Heiligtum gehört. Die Territorien des Kaisers Claudius, des Herrschers des mächtigen Römischen Reiches, erstreckten sich von Persien im Osten bis nach Spanien im Westen, von Afrika im Süden bis Frankreich und zu Teilen von Germanien im Norden. Das Mittelmeer war sozusagen sein Privatsee, und kaum ein Mensch hat jemals mehr Macht ausgeübt.
Trotz seines großen Imperiums und seiner Talente als Gelehrter und Herrscher glich Claudius doch eher einer Witzfigur: Er hinkte und stotterte. Und obwohl er aus einer Familie kam, die jahrhundertelang bedeutende Generäle gestellt hatte, konnte er selbst keine Siege verzeichnen. Diese Situation gedachte er im Jahr 42 zu ändern. Niemanden überraschte es, daß er zu diesem Zweck Britannien im Auge hatte. Schließlich wußte jeder in Rom, daß es höchste Zeit war, die ferne Insel im Norden zu zivilisieren.
Ein Jahrhundert zuvor hatte Julius Caesar eine Expedition dorthin geführt; und erst vor drei Jahren hatte der letzte Kaiser, Claudius’ Neffe Caligula, eine große Invasion der Insel vorbereitet, die jedoch nie stattgefunden hatte.
Er selbst werde die Eroberung leiten, so verkündete Claudius, und so vollenden, was sein berühmter Vorfahr Julius Caesar begonnen hatte. Julius Caesars genauer Bericht über seine Aktivitäten auf der Insel in den Jahren 55 und 54 v. Chr. war allseits bekannt. Es gefiel Claudius, daß er auf diese Weise seinen eigenen Namen mit dem größten Befehlshaber, den Rom je hervorgebracht hatte, verbinden konnte. Seit Jahrhunderten waren Berichte über die Insel verfaßt worden, meist von griechischen Händlern, die über das Meer zum Land der Nebel gefahren waren. Und erst ein paar Jahre zuvor hatte der alte Kaiser Tiberius, ein Verwandter des Claudius, den berühmten Geographen Strabo beauftragt, eine Abhandlung über die kommerziellen Möglichkeiten der Insel vorzubereiten. Es hatte den Anschein, als wäre Britannien reich. Die Berichte der Händler lauteten vielversprechend. Die Britannier kauften römische Kostbarkeiten, hieß es, besonders Wein aus der Mittelmeergegend, um das Bier und den Met, den sie selbst von alters her brauten, zu ergänzen. Über die Häfen und Anlegeplätze Britanniens konnten die Händler genaue Informationen bringen; sie waren anscheinend reichlich vorhanden.
Claudius war sich bald klar darüber, daß seine Armeen in der Meerenge gegenüber Gallien landen würden. Er erfuhr allerdings nie, daß fünfundzwanzig Meilen nördlich dieses schönen Hafens ein magischer Ort lag, wo fünf Flüsse zusammenkamen.
Der Kaiser war befriedigt über die Auskünfte. Es gab jedoch noch andere Überlegungen, die ein weiser Herrscher in Betracht ziehen mußte. Das mysteriöse Inselland war zu einem Unruheherd geworden. Viele Inselbewohner gehörten, wie das Volk Galliens, keltischen Stämmen an, und als Caesar Gallien im vergangenen Jahrhundert erobert hatte, gab es erbitterte Kämpfe mit ihnen. Die Mitglieder der sogenannten BelgenStämme – halb Germanen, halb Kelten – waren schließlich mit ihrer unbequemen Priesterschaft, den Druiden, nach Britannien abgezogen, von wo sie häufig plündernde Truppen aufs Festland sandten. Dies hatte dem Imperium ganz erheblichen Ärger verursacht.
Wenn Rom Britannien erobern würde, könnte es nicht nur diese lästigen Überfälle auf Gallien beenden, sondern auch die Druiden, die den römischen Göttern ein Greuel waren, ein für allemal ausrotten. In seinen Anfängen zumindest tolerierte das Römische Imperium die meisten Religionen. Die Druiden
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