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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hatte sich auch gewandelt: Auf den geheiligten Gefilden grasten jetzt Schafe, und die weichen grauen Steine des Henge, die noch in dem magischen Kreis standen, bekamen selten Besuch und wiesen Zeichen starken Verfalls auf.
    Die Hügelgräber waren von Gras überwuchert, und seit Generationen hatte man keine neuen mehr errichtet. An den Hängen, wo die Bauern seit viertausend Jahren Weizen, Flachs und Gerste angebaut hatten, war das Land gleichmäßig in kleine rechteckige Felder aufgeteilt, die durch Hecken und Erdwälle gegeneinander abgegrenzt waren. Die Felder waren selten länger als zweihundert Meter und wurden kreuz und quer gepflügt.
    Nur ein Charakteristikum der Landschaft hatte sich völlig geändert, und zwar der kleine bewaldete Hügel, der am Eingang des Tales Wache gestanden hatte. Einige Jahrhunderte zuvor war das alte Vorgebirge abgeschürft und um den Gipfel waren auf einer Fläche von gut dreißig Morgen gewaltige Erdund Kreidewälle, durch einen tiefen Graben getrennt, aufgeworfen worden.
    Der ehemalige Hügel war nun eine kahle Erhebung, die nach den Seiten steil abfiel. Zum erstenmal in seiner Geschichte – es sollte nicht das letztemal sein – war der Hügel von Sarum zu einer regelrechten Festung geworden; grell weiß im Sonnenlicht, beherrschte sie meilenweit die umliegende Landschaft. Die Menschen von Sarum bezeichneten sie mit dem keltischen Begriff Dune – »Düne«. Als die Nachricht von der römischen Landung eintraf, wurden die Festungswälle eilig instand gesetzt. Ein neues Doppeltor aus Eichenholz wurde am Haupteingang errichtet und durch schwere Holzbalken verstärkt, so daß es jedem Sturmbock standhalten konnte. In der Düne waren zahlreiche Gebäude entstanden: strohgedeckte Rundhäuser, Getreideschuppen, Schaf- und Viehpferche. Den Mittelpunkt der Düne bildete in der Nähe eines Brunnens ein sechs Meter hoher Pfahl, auf dessen Spitze der geschnitzte Kopf von Modron, der keltischen Kriegsgöttin, und ein Bild ihrer drei Raben angebracht waren. Es war das Kampfsymbol der Gemeinde, und nach Aussage der Druiden machte es Sarum unbesiegbar.
    Ein junger Mann stand allein auf dem hohen Wall der Düne und blickte angestrengt nach Süden. »Keine Nachricht von Taradoc«, murmelte er. »Aber ich weiß, daß die Römer nah sind: Ich spüre es.«
    Ein paar Tage zuvor hatte er den Flußschiffer mit dem strikten Befehl zum Hafen geschickt, das Auftauchen der Römer sogleich nach Sarum zu melden. Es war bekannt, daß die Zweite Legion rasch an der Südküste entlangzog mit dem Befehl, die Hügelfestungen im Westen zu zerstören. Aber Taradoc war nicht erschienen.
    »Wo ist der Elende?« Der junge Mann war verärgert. Seine blauen Augen suchten das Land unruhig ab. Er war schlank und wohlgebildet, trug einen hellen, gekräuselten Bart und einen ebensolchen Schnurrbart, der nach Art der keltischen Krieger in der Mitte herabhing und an den Enden aufgebogen war.
    Der Mund jedoch schien etwas zu empfindsam für die Rolle des Kämpfers, die zu übernehmen er sich verpflichtet fühlte. Er trug ein knielanges Leinengewand und um die Taille einen breiten Ledergürtel, an dem ein langes Eisenschwert hing. Über dem Gewand trug er einen großen, viereckigen Wollumhang von leuchtendblauer Farbe, vorn durch eine große Bronzefibel zusammengehalten. Die Füße steckten in festen Lederschuhen.
    Das Auffälligste an seiner Kleidung war jedoch ein großer, schwerer Goldreif um den Hals; die vorn offenen Enden waren jeweils mit einem prächtigen Goldknauf in Form eines Wildschweinkopfes versehen. Dies war der Torques, der wichtigste Schmuck jedes keltischen Kriegers. Die extreme Größe dieses Rangzeichens wies darauf hin, daß der Mann trotz seiner Jugend das Stammesoberhaupt war.
    Er hieß Tosutigus. Er war zwar tapfer, jedoch starrsinnig und unerfahren; das Schicksal der Düne, des Ortes Sarum und seiner Familie lagen jetzt in seiner Hand. Tosutigus ließ seine Augen über die Brustwehr wandern. Als Streitkräfte standen ihm hundert Mann, sechs Pferde, ein alter zweirädriger Kampfwagen – diese galten damals als veraltet – und ein Druide zur Verfügung.
    Da ein offener Kampf der kleinen Garnison gegen die Römer aber nicht in Frage kam, würde der Kampfwagen sicher nicht eingesetzt werden. Seine Männer waren mit Speeren und Pfeilen, alle mit Eisenspitzen, bewaffnet, und er konnte sich darauf verlassen, daß sie bis auf den letzten Mann kämpfen würden. Doch wie viele Kelten damals hatten die

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