Sarum
Hälfte des Viehs in den Hürden und zwei Drittel der gesamten Gerste.
»Ich werde ihre Steuern neu bemessen lassen«, verfügte er. »Vorläufig werden wir zehn Stück Vieh und einen Wagen voll Korn mitnehmen.«
»Damit kommen sie gut weg«, wandte der Zenturio ein. »Sie müssen das sofort abgeben«, fuhr Porteus fort. Er erklärte dem alten Stammesführer: »Wir werden jetzt eure Steuern eintreiben, aber in Zukunft werden sie niedriger bemessen, dann müßt ihr pünktlich bezahlen.«
»Nehmt zehn Stück Vieh«, sagte Porteus zum Zenturio, und die römischen Legionäre eilten in die Viehhürden.
Da begann der Aufruhr. Die Einwohner wurden handgreiflich, als ihnen die Grundlage ihrer bescheidenen Existenz entzogen werden sollte, und der alte Stammesfürst hinderte sie törichterweise nicht daran. Die Legionäre drängten die zerlumpten Leute mit ihren Schilden beiseite, und schon lagen sie sich in den Haaren.
Da tauchte plötzlich eine ältere Frau mit einem Speer gleichsam aus dem Nichts auf und stürzte sich auf den Gegner. Bevor irgend jemand sie aufhalten konnte, schleuderte sie den Speer treffsicher gegen einen römischen Soldaten, der im Genick getroffen wurde und zu Boden fiel. Als Porteus das sah, wußte er, was geschehen würde.
»Bildet eine Linie«, brüllte der Zenturio, »mit denen werden wir schon fertig!« In Windeseile hatte sich die Kampflinie formiert, und Porteus sah, wie sie vormarschierte.
Die wohlausgebildeten Soldaten machten die entsetzten Bewohner der kleinen Siedlung nieder, während Porteus hilflos zusehen mußte. Nach einer Stunde war alles vorüber. Sie hatten zehn Wagen mit Korn und fünfzig Stück Vieh zusammengestellt; die Siedlung war nur noch ein schwelender Trümmerhaufen. Das Stammesoberhaupt war getötet, der Schrein zerstört worden.
»Gute Arbeit«, bemerkte der Zenturio grinsend. »Wohin jetzt, Caius Porteus?«
Porteus erwiderte nichts.
In dem knappen Bericht über den Vorfall, den er dem Statthalter bei seiner Rückkehr nach Camulodunum persönlich überbrachte, erwähnte er nur, daß Widerstand gegen die Steuereintreibung geleistet und die Siedlung deshalb bestraft worden sei. Er empfahl eine neue Steuerbemessung für das umliegende Land.
Sueton nahm den Bericht ohne viel Aufhebens entgegen. »Ganz recht«, war sein Kommentar. Aber als Porteus gehen wollte, blickte ihn der Statthalter verschlagen an und sagte: »Kein Zenturio wird seine Männer unter solchen Umständen einem Risiko aussetzen. Es ist keine Ehre, von Eingeborenenfrauen getötet zu werden. Das nächstemal solltest du nicht zögern, Caius Porteus. Diese Provinz muß gezähmt werden.«
Aber wenn der Statthalter gedacht hatte, daß die Sache damit erledigt sei, so irrte er sich. Der Mord an den Einheimischen, deren einziges Vergehen Armut war, und das Bewußtsein, daß er jetzt aktiv in eine grausame Politik verwickelt war, die einmal scheitern mußte, belasteten Porteus immer stärker. Es war ihm bekannt, daß überall in der Provinz römische Truppen ähnlich grausame und sinnlose Unterdrückungsaktionen durchführten, und der Gedanke machte ihn krank. Sollte er seine Position aufgeben und nach Rom zurückkehren? Das wäre wahrscheinlich das Ende seiner Karriere. Sollte er an Gracchus oder eine andere einflußreiche Persönlichkeit schreiben und sie auf die tragischen Fehlentscheidungen aufmerksam machen? Das wäre illoyal. Zu guter Letzt entschied er sich für einen dritten Weg. Doch ehe er ihn einschlug, wollte er Marcus um Rat fragen.
Er schilderte ihm seine Zwiespältigkeit eingehend, und Marcus hörte aufmerksam zu.
»Ich muß mich dem Statthalter gegenüber loyal verhalten«, schloß er, »doch die gesamte Politik ist ein fürchterlicher Irrtum, und ich kann nicht wortlos daneben stehen.«
»Was willst du also tun?« fragte ihn Marcus.
»Ich glaube, ich gehe zum Statthalter«, antwortete Porteus, »und trage ihm die Beschwerde selbst vor.«
Marcus nickte sehr langsam: Porteus wollte sich offenbar zum Narren machen. Die Frage war bloß, ob er, Marcus, versuchen sollte, ihn zurückzuhalten? Und in diesem Punkt befand sich Marcus Marcellinus jetzt selbst in einem moralischen Zwiespalt: Wollte er, daß sein junger Freund seine erfolgreiche Laufbahn fortsetzte, oder wollte er, daß er durch einen unbesonnenen Schritt – das Temperament des Statthalters war bekannt – seine Aussichten ruinierte? Er wußte es nicht. Erst an diesem Morgen hatte er einen langen Brief von seiner Tante aus Rom
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