Sarum
war genau auf Hwlls Herz gerichtet. Keiner der beiden bewegte sich. Tep, dem das Lager gehörte, hatte Hwll schon eine ganze Weile beobachtet. Bevor er Stellung bezog, hatte er seine Familie vorsorglich im Wald versteckt. Er hätte Hwll ohne weiteres töten können, aber der Fremde konnte vielleicht irgendwie von Nutzen sein.
Tep hatte ein Rattengesicht – schmale Augen, eine lange Nase, ein spitzes Kinn, spitze Zähne, auffallend karottenrotes Haar, einen schlurfenden Gang und eine angeborene Besonderheit: Seine Zehen waren so lang, daß er damit kleine Gegenstände aufheben konnte. Er war ein geschickter Jäger, aber boshaft, hinterhältig ohne jeden Anlaß. Man konnte ihm nicht trauen. Früher hatten er und seine Familie mit einer Jägergemeinschaft fünfzehn Meilen nordöstlich des Sees gelebt. Nach einem heftigen Streit wegen der Fleischverteilung nach einer Jagd, wobei er versucht hatte, die anderen Jäger zu übervorteilen, hatten sie ihn aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Er war ein Entrechteter in der Gegend, und wenige der verstreut lebenden Leute wollten etwas mit ihm zu tun haben.
Hwll, der von alldem noch nichts wissen konnte, gab zu erkennen, daß er in friedlicher Absicht gekommen war. Tep senkte den Pfeil nicht, forderte Hwll jedoch durch Kopfnicken zum Sprechen auf. In den nächsten Minuten entdeckten die beiden Männer, daß sie sich, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprachen, durch Zeichen gut verständigen konnten, und Hwll, bemüht, sich Unterstützung zu sichern, berichtete dieser merkwürdigen Gestalt von seiner Wanderung. »Bist du allein?« fragte Tep argwöhnisch. »Ich habe eine Frau und zwei Kinder«, sagte Hwll. Langsam senkte Tep seine Waffe. »Geh du vor«, ordnete er an. »Ich komme mit und sehe mal nach.«
Am Abend hatte Tep die Neuankömmlinge in Augenschein genommen und hielt es für klug, sich den Fremden aus dem Norden zum Freund zu machen. Er hatte einen Sohn, der eines Tages eine Frau brauchen würde; vielleicht wäre Hwlls Tochter die Richtige.
Als er hörte, daß Hwll auf der Suche nach Hochland war, leuchteten seine listigen Augen auf. »Ich kenne eine solche Stelle«, versicherte er. »Dort sind viele Täler, voll von Wild, und darüber liegt Hochland« – er zeigte eine große Höhe an –, »viele Tagereisen von hier.«
»Wo?« fragte Hwll.
Tep sah nachdenklich vor sich hin. »Es ist weit weg«, meinte er schließlich, »und die Wanderung nicht einfach, aber ich kann euch führen.« Er hielt inne. »Jage zuerst mit mir«, schlug er vor, »dann zeige ich dir den Weg.«
Obwohl Hwll nicht wußte, ob er dem kleinen Mann trauen konnte, war das ein Angebot, das ein Jäger nicht hätte ausschlagen können; und nach den endlosen Tagen der Einsamkeit war er tatsächlich froh, wieder einen Gefährten zu haben.
»Ich muß aber vor dem Winter auf den Höhen sein«, sagte er. »Das verspreche ich dir«, antwortete Tep.
So begann die seltsame Beziehung zwischen dem Jäger aus der Tundra und dem Jäger aus den südlichen Wäldern. Tep hatte vier Kinder. Als seine erste Frau gestorben war, zog er nach Westen und stahl sich eine aus einem Jägerverbund – fast noch ein Kind. Sie hieß Ulla, war eine rundgesichtige Kreatur mit großen, erschrockenen braunen Augen und einem knochigen Körper.
Zwei Kinder waren von ihr. Alle vier sahen dem Vater ähnlich, flitzten auf ihren langzehigen Füßen durch die Wälder und fingen mit beängstigender Geschicklichkeit kleine Tiere. Tep war fest entschlossen, Hwll und seine Familie mit allen Mitteln zu halten, bis er mit ihnen übereingekommen war, zumindest das kleine Mädchen für einen seiner Söhne zu sichern. Wenn sein Angebot auch unredlich war, hatte es doch Vorteile für die Neuankömmlinge. Während Hwll sein Lager auf der Lichtung errichtete, zeigte Tep ihm die besten Fischgründe. Eines Tages führte er ihn ein paar Meilen nach Westen an der Meeresküste entlang und zeigte dem Mann aus dem Norden etwas für jenen völlig Unbekanntes: eine Austernbank. Bald hatte Tep Hwll und dessen Sohn beigebracht, wie man nach den Austern taucht und sie von der Bank mit einem Messer wegstemmt. Der Junge entwickelte eine solche Geschicklichkeit, daß sie ihn von nun an Otter nannten, und der Name blieb ihm. An jenem Abend feierten die beiden Familien am See mit Forellen, Muscheln und Austern, die sie im ganzen schlürften. Der Sternenschimmer spiegelte sich im klaren Wasser. Nie hatte die Familie aus der Tundra so gut gegessen, und wieder
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