Sarum
Jahrhunderten brach die See wieder und wieder durch, überflutete die Küstenregion und trug die Kreidefelsen ab. Die gesamte Kreideküste Südbritanniens verschwand in den Wellen, und das Land wurde meilenweit überschwemmt. Der große Fluß Solent, an dessen Ufer sie standen, wurde vom Meer aufgenommen, und alles, was von der ursprünglichen Kreideküste Britanniens übrigblieb, ist ein einzelner, diamantartig geformter Brocken vor der Südküste: die Insel Wight.
»Zuerst müssen wir lagern«, erinnerte sie ihn. »Die Kinder können nicht mehr weiter.«
»Bald«, antwortete er, aber er sah, daß sie recht hatte. Vata lief nur noch mit geschlossenen Augen. Der kleine Junge war an diesem Morgen dreimal hingefallen.
Jetzt nahm Hwll ihn auf seine Schultern. Die Gesichter der untergehenden Sonne zugekehrt, wandte sich die kleine Familie landeinwärts, und Hwll sah sich nach einer geeigneten Stelle um.
Am nächsten Tag entdeckte er den See.
Ein kleiner flacher Hügel erregte zuerst seine Aufmerksamkeit. Es sah so aus, als könnte Hwll von hier das Land erkunden, und hier konnten sie wenigstens eine Nacht lagern. Als er jedoch die Stelle erreichte, war seine Überraschung groß, denn weiter unten lag, versteckt, ein flacher See, etwa eine halbe Meile im Durchmesser. An der Ostseite war ein schmaler Abfluß ins Meer. Hwll umwanderte den See und stellte fest, daß er im Norden und Westen von zwei kleinen Flüssen gespeist wurde. An der Nordseite lag eine unbewachsene Marsch. Das ruhige Wasser wurde von einem Hügel geschützt; es duftete süß nach Farn, Schlick und Schilfrohr. Ein Reiher stieg auf, und Möwen schrien. Im Windschatten war es warm. Hwll fertigte rasch ein kleines Floß, und sie glitten über die Wasserfläche. Vom Gipfel des Hügels sah er landeinwärts über niedrige bewaldete Hügelketten bis zum Horizont.
Er wandte sich zu Akun und deutete hinaus: »Das ist unser Weg.« Der Sommer würde noch zwei Monate dauern. Dies hier war genau die Stelle, wo sie ausruhen und Kräfte sammeln konnten. »Wir bleiben zehn Tage hier«, sagte er. »Dann gehen wir weiter ins Land hinein.« Mit einem Seufzer der Erleichterung liefen Akun und die Kinder den Hügel hinunter ans Seeufer.
Hwll war höchst erfreut, daß es um den See Wild in Fülle gab. Tiere, von denen er die meisten noch nie gesehen hatte: Schwäne, ein Reiherpaar, sogar eine Schar Pelikane watschelte am Ufer. Das offene Land hinter der Marsch war torfig und mit Heidekraut bewachsen, und eines Morgens galoppierte eine Herde Wildpferde darüber hin auf die Hügelketten zu. In den Flüssen gab es Forellen und Lachse; eines Tages überquerte Hwll sogar den Solent auf einem Floß und fand in den Wasserlöchern am Strand Krabben und Muscheln, die sie abends über dem Feuer garten. Die Kinder erholten sich rasch. Hwll lächelte, als er die beiden eines Morgens am Seeufer herumtollen sah.
»Wir könnten den Winter über hierbleiben«, meinte Akun. »Es gibt genug zu essen.« Das stimmte – sie hätten ihr Winterquartier im Schutz des Hügels errichten können, aber Hwll schüttelte den Kopf. »Wir müssen weiter, müssen die Höhen erreichen.«
Das Ende dieser bemerkenswerten Wanderung lag tatsächlich näher, als Hwll dachte. Doch sie sollten das Ziel nicht allein erreichen. Er hatte sich entschlossen, das vor ihm liegende Land in Richtung Norden zu erforschen, ehe er den See verlassen wollte. Und so machte er sich eines Morgens flußaufwärts auf den Weg zu den ersten Hügelketten, die er von oben gesehen hatte. Die Ufer waren mit Gehölz bewachsen, und der Fluß, der nur etwa zehn Meter breit war, glitt gemächlich vorbei. Wasservögel tummelten sich darin, und Hwll entdeckte auch große braune Fische, die ruhig unter der Wasseroberfläche standen. Er war dem Fluß fünf Meilen gefolgt, als er zu seiner Überraschung auf ein Lager traf.
Es stand auf einer kleinen Lichtung am Ufer und bestand aus zwei niedrigen Hütten aus Erde, Reisig und Schilf. Die geneigten Dächer waren mit Torf und Rasensoden gedeckt und schienen wie zwei unordentliche Pilze aus dem Boden zu wachsen. Am Ufer lag ein Einbaum vertäut. Verblüfft blieb Hwll stehen. Er sah kein Feuer, aber er konnte Rauch riechen, als wäre gerade eines ausgebrannt. Das Lager wirkte verlassen.
Vorsichtig ging er auf eine der Hütten zu. Plötzlich gewahrte er einen kleinen Mann, der ihn im Schutz des zehn Meter entfernten Schilfrohrs intensiv beobachtete. Er hatte seinen Bogen gespannt, und der Pfeil
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