Sascha - Das Ende der Unschuld
und kurzen, klaren Phasen, schwebte zwischen Leben und Tod. Dann kam er endgültig wieder zu sich. Der Erste, den er sah, war sein Anwalt.
„Ich bin froh, dass es Ihnen wieder besser geht.“
Sascha hörte sich die Platitüde an und nickte gleichgültig.
„Ich hatte schon Angst, die gute Nachricht käme zu spät.“
Jetzt erst horchte Sascha ein wenig auf, ohne dies jedoch erkennen zu lassen.
„Sie müssen gesund werden, denn dann können Sie das Krankenhaus als freier Mann verlassen.“
Sascha verzog ungläubig das Gesicht, schwieg aber weiterhin. Dafür ließ sich der junge Anwalt in einer Flut von Eigenlob davontragen, was Sascha ihm, wenn dies alles wirklich stimmte, aber gern zugestehen wollte. Schließlich endete er:
„... sie müssen sich vorstellen, dass niemand auf die Idee kam, die in Frage kommenden Zeiten miteinander zu vergleichen. Es war ein Blitzeinfall von mir, ich ging zu Ihnen nach Hause. Als ich dann tatsächlich in einer Ihrer Hosen die beiden Fahrkarten fand, musste ich nichts weiter tun, als die darauf festgehaltenen Uhrzeiten mit dem Todeszeitpunkt zu vergleichen. Ich habe auch den Taxifahrer ermittelt, der Sie hingebracht hat. Sie haben die Wahrheit gesagt, denn der Ermordete war bereits sieben Stunden tot, bevor Sie in Köln den Zug bestiegen, um zu ihm zu fahren. Sieben Stunden – das widerlegt uns kein Staatsanwalt.“
✵
Am Tag der Entlassung stand Jimmy mit dem Wagen vor der Haftanstalt. Er lief zu Sascha hin, während dieser weitaus langsamer zu ihm hinkte.
„Hey, endlich. Damned, du siehst aber ziemlich beschissen aus, wenn ich das mal so sagen darf.“
„Danke für das Kompliment. Willst du auch mal in den Knast? Mal sehen, wie du danach aussiehst.“
Jimmy lachte und hielt die Wagentür auf.
„Oh, no. Neither for love nor money. Lass uns zu Dir fahren, okay?“
„Warum ist Marc nicht mitgekommen?“
Jimmy antwortete nicht auf diese Frage, sondern startete den Wagen. Dann begann er:
„Wir haben den Laden in den vier Monaten, in denen du nicht da warst, offen gehalten. Mit den Einnahmen hat Marc die Miete und so bezahlt. Es ist auch etwas übrig geblieben, ich glaube, das Lokal hat es jetzt endgültig geschafft.“
„Natürlich. Wo ist denn Marc?“
„Die Wohnung ist übrigens auch fertig. Sogar Betten stehen drin. Dafür ist das Geld, das du besorgt hast, natürlich drauf gegangen.“
Sascha war unangenehm berührt, als er daran erinnert wurde, wie er das Geld beschafft hatte. Das war zwar nicht herausgekommen, aber immerhin saß er vier Monate ein, das hinterließ Spuren. In seinem Kopf war es die Strafe für seinen Diebstahl geworden. Außerdem konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass Jimmy seiner Frage nach Marc absichtlich auswich.
„Das ist ja alles sehr schön, aber sag mir jetzt endlich, wo Marc ist. Ich hatte gedacht, er kommt mit, um mich abzuholen.“
„Er ... er ist wieder in der Klinik.“
„Und? Wie geht es ihm? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“
„Inzwischen wieder etwas besser. Wir haben ihn vor etwas mehr als einen Monat einliefern lassen. Er wollte nicht, aber als er anfing, Blut zu spucken ...“
„Fahr mich zur Klinik.“
„Aber willst du denn nicht erst nach Hause und ...“
„Zur Klinik, sofort.“
Bis zur Ankunft dort starrte Sascha angespannt auf den Autoverkehr, fluchte, wenn es nicht zügig weiterging und schwieg ansonsten. Schließlich brachte ihn Jimmy zur Aids-Station. Er musste wie alle anderen einen Mundschutz und Handschuhe anlegen, ehe er das Zimmer betrat, in dem Marc lag.
Sein Freund schlief, eine Sauerstoffmaske bedeckte seinen Mund und die Nase. Marc war blass, seine Augen dunkel umschattet und die Knochen seines Gesichtes drückten sich spitz durch die Haut. Sascha starrte Marc an und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Kurz sah es aus, als wolle er weinen. Jimmy zog ihn auf den Flur und dieser ließ sich das gefallen.
„Du musst dich zusammennehmen. Wenn er wach wird, darf er dich nicht weinen sehen. Der Arzt hat mir gesagt, man soll optimistisch damit umgehen, damit sie nicht allen Mut verlieren, weil wir ihnen unsere Traurigkeit auch noch antun.“
„Ach ja? Keine Angst, ich werde ihm schon nichts vorheulen. Ich kann damit umgehen, ich kenne das.“
Sascha stieß Jimmy von sich und riss sich den Mundschutz herunter. Dann funkelte er den völlig Überraschten wütend an, während er fortfuhr:
„Verdammt. Warum habt ihr mir nicht über meinen Anwalt gesagt, was
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