Sascha - Das Ende der Unschuld
Trance verließ Sascha die Klinik. Er spürte keinen Schmerz, sein Inneres war wie abgestorben. Alles um ihn herum schien so unwirklich, dass er glaubte, Marc müsse jeden Moment an seiner Seite auftauchen, etwas Albernes zu ihm sagen. Aber Marc kam nicht, er würde ihn niemals wieder sehen.
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Noch am gleichen Abend stand Sascha im PASSION hinter der Theke. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Bewegungen mechanisch perfekt. Wenn ihn jemand fragte, sprach er von Marcs Tod wie von etwas, das ihn nicht betraf. Es schien sogar, als ob Jimmy, der hemmungslos weinte, als er davon erfuhr, eine stärkere Bindung zu Marc hatte als Sascha selbst.
Als alle Gäste gegangen waren, blieb nur Jimmy noch dort. Er hatte seinen Freund Achim weggeschickt, da er annahm, Sascha wolle jetzt nicht allein sein. Jetzt saß er auf einem Barhocker und beobachtete Sascha eine Weile beim Aufräumen.
„Hey, willst du das nicht liegen lassen? Du solltest schlafen gehen. Es war ein schwerer Tag für dich.“
„Ich bin noch nicht müde. Marc hat gesagt, ich solle auf das PASSION aufpassen. Das mache ich. Übrigens, wenn du weiter hier arbeiten willst ... okay. Für eine zweite Kraft reicht es nicht, wie du weißt. Dein Achim sollte sich also etwas anderes suchen.“
„Du kannst nicht allen Ernstes vorhaben, ab heute selbst im Laden zu stehen? Es kommt noch die Beerdigung, wie willst du die Zeit bis dahin durchstehen, wenn du bis in die Nacht arbeitest?“
„Lass das mal meine Sorge sein. Sag es Achim einfach.“
Jimmy konnte Sascha nicht verstehen. Er überlegte angestrengt, wieso dieser auf eine solche Weise reagierte. Dann glaubte er eine Antwort gefunden zu haben.
„Kann es sein, dass du eifersüchtig auf Achim bist? Wir mögen uns, okay. Und für die Zeit, als du in Haft warst, haben wir auch miteinander geschlafen. Aber du bedeutest mir mehr. Ich würde gern zu dir zurückkommen.“
„Eifersüchtig?“
Sascha lauschte dem Klang dieses Wortes nach, als wolle er seinen ihm momentan völlig unverständlichen Sinn begreifen. Erst dann fuhr er fort:
„Entschuldige, ich habe andere Sorgen als solche Belanglosigkeiten. Bleib’ du ruhig bei Achim, ich bin im Moment kein guter Partner. Im Knast habe ich an Marc gedacht, nicht an dich. Das sagt doch alles, oder vielleicht nicht?“
„Kann es sein, dass du Marc gegenüber ein schlechtes Gewissen hast? Ich meine wegen mir? Weil du ihn vernachlässigt hast, um mit mir zusammen zu sein?“
Sascha stand gerade mit dem Rücken zu Jimmy, jetzt fuhr er herum und riss mit dem Handtuch einige Gläser von der Theke, so dass sie klirrend auf dem Boden zerschellten.
„Bist du bescheuert oder was? Du warst mir nie wichtiger als Marc. Ich habe ihn nicht vernachlässigt, ich wollte nur, dass er sich schont. Er hat das auch gewusst. Ich glaube, es ist besser, wenn du dir ebenfalls woanders einen Job suchst. Ich find schon eine neue Hilfe.“
Jimmys meergrüne Augen wurden zu Schießscharten. Es war eine ganze Menge, was er dazu hätte sagen wollen. Er fühlte sich ungerecht behandelt, trotzdem begann er eher ruhig:
„Denkst du, du kannst es dir leisten, Freunde vor den Kopf zu stoßen? Ich bin nicht schuld an Marcs Tod und du auch nicht. Du solltest dir überlegen, dass du allein bist, wenn ich gehen muss. Du hast niemanden mehr, du hast außer Marc und mir schließlich keinen an dich herangelassen. Hey, little big man, so stark bist du nicht. Denk an das, was vor dir liegt und versuche, mit deinen Schuldgefühlen klarzukommen. Sonst schmierst du ab.“
„Was vor mir liegt? Marc ist gestorben. Nichts kann das übersteigen.“
„Auch das Begräbnis nicht? Willst du alles allein machen? Ihn aus der Klinik holen lassen, seinen Sarg aussuchen ... du solltest es dir wirklich überlegen.“
„Marc war stark genug, das alles ohne Jammern zu überstehen. Dann werde ich wohl stark genug sein, ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Also spiele dich nicht so auf, ich brauche keinen Psychiater. Und ich brauche dich nicht. Ich brauch niemanden. Außerdem ist Marc nicht austauschbar.“
Als Sascha am nächsten Tag in die Klinik kam, um zu fragen, wann er Marc abholen lassen konnte, erfuhr er, dass sein Freund bereits nicht mehr dort war. Erst als er nicht locker ließ, sagte man ihm, dass Marcs Mutter ihren Sohn abholen ließ. In den nächsten Tagen versuchte er, aufzuklären, wohin man Marc brachte, auf welchem Friedhof er seine letzte Ruhestätte finden würde. Aber er fand es nicht heraus.
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