Sascha - Das Ende der Unschuld
nächsten Morgens setzte sich Guido an Saschas Tisch. Zum ersten Mal redeten sie miteinander, ohne übereinander herzufallen.
„Das gestern war also die Frau, die du heiraten wirst. Ich begreife nicht ganz, warum du das tun willst. Du bist doch so schwul wie man nur sein kann.“
„Quatsch, ich kann auch mit ihr.“
„Das beantwortet nicht meine Frage. Warum bist du mit ihr zusammen?“
„Warum? Eben weil ich die Schnauze von der Szene voll habe. Ich war lange genug mittendrin, um sagen zu können, dass man dich da verrecken lässt, ohne mit der Wimper zu zucken, sobald du mal menschlich und nicht wie eine Sexmaschine denkst.“
„Naja, soweit ich das gesehen habe, ist Sex nicht gerade etwas, das du verabscheust.“
„Das hat damit nichts zu tun. Natürlich, ich habe durch dich auch gemerkt, dass ich die Lust auf Männer nicht einfach abschalten kann. Aber ich kann zumindest mit Stefanie zusammenbleiben und hin und wieder heimlich ... du weißt schon. Bei ihr habe ich ein Zuhause. Bisher dachte ich, dafür könnte ich auf Männer verzichten. Gut, der Trieb ist stärker, aber deswegen werde ich sie nicht aufgeben.“
„So verlogen willst du in eine Ehe gehen?“
„Sie weiß, dass ich schwul bin.“
„Was sie aber sicher nicht weiß ist, dass du dein Schwulsein noch praktizierst.“
„Natürlich nicht. Und sie wird es auch nicht erfahren.“
„Und was heißt das jetzt für uns?“
„Uns? Es gibt kein uns. Du hast kein Recht auf mich, nur weil wir es miteinander gemacht haben.“
„Ach, das ist wohl die Einstellung, von der du gesprochen hast. Das Ex und Hopp der Szene. Du scheinst es selbst ganz gut zu beherrschen.“
Sascha schaute Guido betroffen an. Dann stand er auf, nahm sein Tablett und beendete seine Pause.
✵
Eigentlich hätte es so weitergehen können, wenn sich nicht in diese von Sascha selbst inszenierte, mittlerweile leicht angekratzte Idylle hinterhältig und beinahe unmerklich die Frustration eingeschlichen hätte.
Er hatte plötzlich keine rechte Lust mehr, nach dem täglichen Einerlei im Lager abends nur vor dem Fernseher zu sitzen. Jetzt begann Stefanie ihn mit ihrer Art, immer alles auszudiskutieren, ein wenig auf die Nerven zu gehen. Sie hatte ihn bisher nicht mehr auf Guido angesprochen, aber er bemerkte ihren skeptischen Blick nur zu deutlich, wenn sie irgendwo einem Mann begegneten, dem er einen zweiten Blick schenkte. Inzwischen war er zu dem Schluss gekommen, dass er ihre Familie und auch die Freunde nicht sonderlich mochte. Er sah in ihnen Eindringlinge, die versuchten, Unruhe in ihr Leben zu bringen. Stefanie war irgendwie anders, wenn sie nicht allein waren. Hin und wieder fühlte er sich in Gegenwart Dritter von ihr sogar verspottet. Trotzdem gab er sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, wenn sie die anderen immer wieder einlud. Er wollte nicht zum Außenseiter werden, deswegen diskutierte er mit über Stefanies Lieblingsthema – die bevorstehende Hochzeit.
Als er heute nach der Arbeit heimkam, waren sie wieder nicht allein. Stefanie saß mit ihrer Freundin Sonja, deren Mann und zwei Freunden im Wohnzimmer, blätterte in einem Katalog, aus dem sie sich das Brautkleid aussuchen wollte. Sascha verdrehte die Augen und verschwand Richtung Küche, um etwas zu essen.
„Was soll das denn? Musst du so unfreundlich sein?“
Stefanie war ihm gefolgt und nahm ihm den Laib Brot aus der Hand.
„Lass, ich mach das.“
Während sie ihm ein Brot schmierte, fragte sie ein weiteres Mal vorwurfsvoll nach seinen Gründen. Es war ein mieser Tag gewesen, er hatte Guido nicht gesehen, obwohl er ihn nur zu gern getroffen hätte. Er erfuhr bloß, dass sein Kollege krank sei und so kam er schon sehr unausgeglichen nach Hause. Diesmal war er also nicht in der Lage, sich zurückzuhalten.
„Wieso verstehst du das denn nicht? Es ist meine Bude, aber ich habe hier scheinbar keinerlei Rechte. Dauernd hocken irgendwelche Leute herum, ich muss mir ihr blödes Gequatsche anhören. Dass irgendwelche Autos neue Reifen haben, dass man im Bubbelbabbel-Kaufhaus um die Hälfte reduzierte Lippenstifte bekommt und dass der Hamster von Babbelbubbel Schnupfen hat. Ich kann es nicht mehr hören. Ich will endlich mal wieder heimkommen und hier ist Ruhe. Und außerdem will ich nichts mehr von der Heirat hören, es ist alles schon hundert Mal geplant und durchgedacht worden, es kann nichts mehr schief gehen, verdammt.“
Stefanie warf das fertige Brot auf den Küchentisch.
„Da, iss.
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