Sascha - Das Ende der Unschuld
Aufkommende Zweifel ließ er erst gar nicht zu, darin hatte er in seinem Leben mittlerweile Übung.
Der Umzug würde nicht sonderlich schwierig werden, er musste nur seine transportable Habe zusammenpacken, alles andere würde der Vermieter sowieso nicht herausrücken. Als er Letzteren anrufen wollte, um ihm zu sagen, dass er freiwillig gehen würde, musste Sascha feststellen, dass er nicht mehr telefonieren konnte. So beschränkte er sich darauf, zwei Koffer und eine Kiste zu packen und dem Vermieter einen Zettel an die Tür zu kleben. Auf diesem stand, dass er ausgezogen sei und wegen Geldschwierigkeiten auf die Möbel verzichte.
Dann nahm er die immer noch auf dem Nachttisch liegenden hundert Mark und ließ sich von einem Taxi zurück nach Marienburg bringen. So hatte er das Gefühl, Claus habe ihm diese Fahrt bezahlt und nicht die letzte, gemeinsame Nacht.
Er brachte seine Sachen in das Gästezimmer und ließ sie dort eingepackt stehen. Dann machte er sich wieder auf den Weg in die Stadt, um die Präsentationsmappe in Claus’ Betrieb abzugeben. Er hatte sich vorgenommen, dort zu erzählen, dass der Chef im Krankenhaus die Sachen für gut befunden habe und setzte dieses Vorhaben in die Tat um. Es kamen keinerlei Zweifel an seinen Worten auf. Alles Weitere würde seinen normalen Gang gehen, schließlich wussten Claus’ Angestellte, was zu tun war. Sascha wünschte sich, dass es auch weiterhin so komplikationslos lief.
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Sascha steckte von Tag zu Tag fester in seinem selbst errichteten Gebäude aus Halbwahrheiten und Wunschvorstellungen. Er war so weit gegangen, dass er sich in Claus’ Haus offiziell anmeldete und dafür und auch für die Abzeichnung der neuen Layoutausdrucke und Arbeitsvorlagen dessen Unterschrift fälschte, deren Muster er in Unterlagen aus dem Schreibtisch gefunden hatte. Er musste nicht lange üben, um den Schriftzug kopieren zu können. Er war beinahe perfekt darin. Das Bewusstsein, damit kriminell geworden zu sein, fehlte ihm völlig.
Sascha lebte von Claus’ Vorräten, verbrachte beinahe die gesamte Zeit in der Villa und beschäftigte sich mit dem Computer, schaute fern oder las in der Bibel, um Claus besser verstehen zu können. So flogen die Tage dahin wie Stunden.
Er hatte einige Bücher gefunden, welche ihm die Fragen zum Computer beantworteten, die er nicht durch Probieren aus der Welt schaffen konnte und er war überrascht, wie selbstverständlich er nach diesen vielen Stunden an dem Gerät mittlerweile damit umgehen konnte. Die Beschäftigung und das Lernen ließen ihm keine Zeit, über seine wirkliche Situation nachzudenken. Er merkte unterschwellig, dass seine vielen durch den frühen Schulabbruch vorhandenen, aber verkümmerten geistigen Ressourcen das neue Wissen wie ein Schwamm aufsogen. Hätte er einen anderen Weg eingeschlagen, würde er es heute vielleicht bereits geschafft haben, zu dem Teil der Bevölkerung zu gehören, der sich nicht um jeden Morgen sorgen musste. Aber diese Chance hatte er nie gehabt. Immer wieder bekam er Anrufe der Sekretärin, war oft in Claus’ Betrieb, um etwas abzuholen oder zurückzubringen, das er selbst und nicht Claus begutachtet hatte.
Irgendwann begann er, das eine oder andere an den Entwürfen zu verändern. Er sah sich die Dateien an und korrigierte dies oder jenes nach seinem Gutdünken. Er wies auf diese seine Änderungswünsche hin, als kämen sie von Claus und weil dessen Unterschrift auf den Ausdrucken stand, akzeptierte man sie widerspruchslos.
Sascha stand in diesen Wochen stets in Kontakt mit der Klinik und erfuhr kontinuierlich von Claus’ Fortschritten und dass sein Freund auf die Psychotherapie gut ansprach. Inzwischen fühlte er sich in Marienburg schon völlig heimisch und wartete nur darauf, dass Claus gesund wurde und er ihn besuchen durfte. Irgendwie war er sicher, dass der Ältere, wenn er erst einmal gesund war, sein Hiersein sanktionierte und nichts mehr dagegen haben würde, dass Sascha bei ihm wohnte. Dies war jedoch vorerst noch Zukunftsmusik und nicht abzusehen. Er durfte nicht zu ihm, da der Professor durch sein Auftauchen im Moment noch einen Rückfall befürchtete.
Sascha nahm seine momentane Lebensweise im Grossen und Ganzen als positiv wahr. Er fühlte sich akzeptiert und manchmal sogar wichtig, wenn es um Claus’ Firma ging. Er war stolz auf seine Fortschritte am Computer, mit dem er sich mittlerweile recht gut auskannte. Manchmal fuhr er zum Reitstall, versorgte dort die beiden Pferde. Man
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