Sascha - Das Ende der Unschuld
Ambulanz war da, bevor Claus wieder erwachte. Sascha gab einen kurzen Unfallbericht und wurde gebeten, später in die Klinik zu kommen. Zum Schluss wurde noch sein eigener Name notiert, dann war er allein in dem großen Haus.
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Eigentlich hatte er in seine Wohnung fahren wollen, aber da man von ihm die genauen Angaben über Claus erwartete, blieb er in Marienburg und durchsuchte das Büro. So fand er den Namen der privaten Krankenversicherung des Älteren heraus, sein Geburtsdatum und noch einiges mehr, welches er zur Zeit nicht direkt brauchte. So das Jahr, in dem Claus promovierte und den Todestag seiner Mutter.
Er fühlte sich wie ein Detektiv und nicht einmal unwohl, als sich nach und nach das Puzzle Claus zusammensetzte. Er fand Fotoalben und wusste nun, wie intensiv Claus’ Beziehung zu seiner Mutter gewesen sein musste. Es gab ausschließlich Bilder der beiden, scheinbar hatte es kaum andere Menschen im Umfeld gegeben. Über die Tragweite dessen, was er herausfand, machte er sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Gedanken.
Er verbrachte Stunden im Erdgeschoss und verlor jedes Zeitgefühl. Irgendwann musste er Licht machen und erkannte, dass es spät geworden war.
Plötzlich fühlte er sich wie ein erwischter Dieb und wollte sich auf den Weg nach Hause machen. Als er die Halle betrat, patschten seine Füße in eine Wasserlache und er erschrak. Natürlich, das Wasser war stundenlang mit voller Kraft gelaufen und der Teppich hatte die Flut mittlerweile nicht mehr im Schlafzimmer halten können. Der Parkettboden der oberen Diele, die Treppe und auch der Kachelboden der Halle mit den Perserläufern bildeten sowieso kaum ein Hindernis. Sascha fühlte sich natürlich verantwortlich.
Er machte nun überall Licht, rannte hinauf und schloss die Wasserhähne. Dann nahm er kurzerhand das Laken vom Bett und begann, aufzuwi-schen. Er verschob die Möbel einschließlich des Bettes, das er dafür beinahe vollständig demontieren musste und rollte der bleischweren Teppich des Schlafzimmers zusammen. Diesen zog er unter Aufbietung seiner gesamten Kräfte hinaus, wobei er sich wie ein Fohlen vorkam, das einen vollgeladenen Bierwagen wegziehen sollte. Manchmal ging er, ohne von der Stelle zu kommen. Er verfluchte den Teppich, schleifte ihn dabei die Treppe hinunter, wobei er ihn einmal fast überholen wollte, indem er sich seitlich aufrollte und Sascha fast von den Beinen riss. Er kämpfte sich mit der Last keuchend bis hinaus auf den Rasen, wo er ihn neben den fünf Läufern deponierte und ausbreitete. Er hoffte, dass es keinen Regen geben würde und machte sich nicht die geringsten Gedanken darüber, dass Werte von mindestens vierzigtausend Mark einfach im Garten herumlagen. Er ging zurück, um das Wasser weiter mit dem Bettlaken zu bekämpfen. Die Auslegeware im Bad musste trocknen, wo sie lag. Es war nach vier Uhr in der Nacht, als er alles soweit erledigt hatte. Sein Rücken schmerzte, er war vollkommen ausgepowert und wollte nur noch eines – schlafen. So überlegte er nicht lange, zog die nassen Sachen aus. Er hängte sie, beinahe schon im Halbschlaf, zum Trocknen über einen Stuhl und legte sich in das Bett, in dem er damals an jenem ersten und letzten Morgen in Claus’ Haus aufgewacht war. Er schlief sofort ein.
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Es war früher Nachmittag, als die Sonne Sascha weckte. Sofort war die Erinnerung da. Er stand auf, zog sich an und verließ das Haus Richtung Klinik. Dort fragte er sich durch und erfuhr die Zimmernummer von Claus ohne Weiteres. Irgendwie erwartete er, dass sein Freund, und das war der Ältere in seinen Augen noch immer, jetzt wieder normal reagierte.
Doch er wurde enttäuscht. Als er an das Bett trat, schien Claus zu schlafen. Aber als er nach seiner Hand griff, begann dieser zu toben. Er schrie unzusammenhängende Worte, wollte das Bett verlassen und schlug nach Sascha. Die herbeieilenden Schwestern und Pfleger hatten alle Hände voll zu tun, ihn in eine günstige Lage zu bringen, um die Beruhigungsspritze setzen zu können. Sascha stand im Weg und behinderte das hektische Treiben.
Schließlich gelang es, Claus ruhig zu stellen und Sascha kam sich nutzlos vor, als er vom Krankenhauspersonal wie ein kleines Kind auf den Flur geschickt wurde. Im Schwesternzimmer konnte er der Oberschwester die persönlichen Angaben zu Claus machen, die diese haben wollte, und wies sich als sein Lebensgefährte aus. In diesen Momenten kam ihm zugute, dass die Akzeptanz eines schwulen Pärchens nicht
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