Sassinak
als habe sie zu lang in der Sommersonne gestanden, und als sie herumwirbelte, sah sie an der Wand hinter ihr denselben kreisförmigen Riß auftauchen.
Später, als sie die entsprechende Ausbildung hinter sich hatte, um solche Situationen analysieren zu können, wußte sie, daß sich alles innerhalb von Sekunden abgespielt haben mußte: vom Durchbrechen der Wand über den vergeblichen Widerstand der Erwachsenen, die mit drittklassigen Projektilwaffen gegen die gestohlene Bewaffnung der Piraten und ihre überlegene Feuerkraft antraten, bis hin zur letztendlichen Gefangennahme der Überlebenden, betäubt von den Gasgranaten, welche die Piraten ins Gebäude warfen. Aber zu diesem Zeitpunkt schien ihr Hirn schneller als die Zeit zu arbeiten, so daß sie wie in einem Traum sah, wie ihr Vater seine Waffe auf die gepanzerte Angriffskapsel richtete, die durch die Wand platzte. Sie sah, wie ein Lichtstab seinen Arm berührte und seine Waffe mit dem abgetrennten Glied zu Boden fiel. Ihre Mutter fing ihn auf, als er strauchelte, und beide griffen an. Das taten andere auch. Eine ganze Schar Erwachsener versuchte die Kapsel durch schiere Anzahl zu überwältigen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie dabei starben, aber was sie wirklich aufgehalten hatte, sah Sass erst danach: ihre eigenen Eltern hatten sich in die Ketten geworfen, um sie zu blockieren.
Doch es reichte nicht. Hätten alle Kolonisten mitgeholfen, wäre es vielleicht gelungen. Aber eine zweite Angriffskapsel folgte der ersten, und dann noch eine. Sass, die wie die anderen schrie, stürzte sich auf das Ding und rechnete jeden Augenblick damit, getötet zu werden. Statt dessen platzten die Kapseln auf, und die Stürmer rollten heraus, deren Panzer sie vor den kläglichen Schlägen und Tritten der Kinder schützten. Dann warfen sie die Gasgranaten, und Sass konnte nicht mehr atmen. Halb erstickt glitt sie mit den anderen zu Boden.
Sie erwachte in den schlimmsten aller Alpträume. Tageslicht aus einem Loch in der Wand fing sich in der staubigen, kalten Luft. Ihr war speiübel, und ihr Kopf schmerzte. Als sie sich herumzurollen und zu erbrechen versuchte, drückte ihr etwas die Kehle zu und drohte sie zu ersticken. Ein dünner Kragen umschloß ihren Hals, an den zu beiden Seiten eine dünne Schnur befestigt war, die aus Plastik zu bestehen schien. Sass würgte entsetzt. Ein Stiefel erschien vor ihrem Gesicht und versetzte ihr einen derben Tritt.
»Hör auf damit!«
Sassinak hielt völlig still. Die Stimme hatte nichts Weiches an sich, klang nur geringschätzig, und Sass wußte, ohne auch nur aufzublicken, was sie sehen würde. Ringsum regten sich andere; sie versuchte, ohne daß sie den Kopf bewegte, zu erkennen, um wen es sich handelte. Verkrümmte Körper in allen Größen; einige rührten sich und andere nicht. Sie hörte Stiefelschritte näher kommen und versuchte ein Zittern zu unterdrücken.
»Fertig?« fragte jemand.
»Die hier sind wach«, antwortete jemand anderes. Es war dieselbe Stimme, die sie eben zum Stillhalten aufgefordert hatte.
»Stellt sie auf, macht hier sauber und fangt mit dem Beladen an.« Ein Stiefelpaar stapfte davon, die anderen beiden kamen wieder in ihr Blickfeld, und ein kräftiger Stoß traf sie in die Rippen. Sie keuchte vor Schmerz.
»Ihr acht da: aufstehen.« Sass versuchte sich zu bewegen, stellte aber fest, daß ihre Glieder steif und unbeweglich waren, und der Kragen mit der Schnur sie mehr behinderte, als sie angenommen hatte. Mit solchen Beschwernissen hatte Carin Coldae, die einmal selbst ein Piratenschiff gekapert hatte, nichts zu schaffen gehabt. Die anderen in ihrer achtköpfigen Gruppe hatten ähnliche Schwierigkeiten wie sie: sie stolperten gegeneinander, rissen hilflos an den Halsmanschetten. Der Pirat, den sie jetzt, da sie sich aufgerappelt hatte, deutlich erkennen konnte, stand einfach da und verbarg sein Gesicht hinter der Gesichtsplatte seines Körperpanzers. Sie hatte keine Ahnung, wie groß er wirklich war – es hätte durchaus auch eine Frau sein können.
Ihr Blick wanderte umher. Auf der anderen Seite des Zentrums rappelte sich eine andere Kette von acht Personen auf; sie sah, wie eine weitere unter dem Befehl eines Piraten bereits abgeführt wurde. Ein weiterer Stoß traf sie in die Rippen. Sie wandte den Kopf.
»Paß gefälligst auf! Ihr acht seid jetzt eine Kette; ihr habt die Nummer 15. Wenn jemand einen Befehl für Kette 15 gibt, dann seid ihr gemeint, und ich rate euch, gut aufzupassen. Du da …« –
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