Satanica
schnell. Zuerst hob sie den Kopf noch weiter an und richtete ihren Blick auf den vor dem Grab stehenden Mann. Kalte Augen, in denen Kerzenlichter tanzten. Glatte Pupillen wie eingefärbte Spiegel.
»Komm!«
Sie schüttelte den Kopf, blieb in ihrem Bereich, doch ihre Haltung veränderte sich. Beide Arme ließ sie sinken. Dann nahm sie eine Kerze mit der linken Hand hoch, brachte die Flamme nahe an ihr Gesicht heran, und Perry, der die Welt nicht mehr verstand, sich aber auch nicht in der Lage fühlte, einzugreifen, mußte mit ansehen, wie die heiße Flamme über das Kinn seiner Schwester hinwegstrich, dann am Gesicht hochfuhr, aber dort ebenfalls nichts verbrannte. Nicht mal die Haare gingen in Flammen auf. Deboras Gesicht blieb unverändert.
Keine verbrannte Haut. Keine im Feuer knisternden Haarsträhnen. Es war alles völlig unnormal geworden, und auch Perry sah sein Weltbild allmählich zusammenbrechen. Er kam damit nicht zurecht.
Sie stellte die Kerze wieder weg. Als wäre nichts geschehen, hob sie den Blick wieder an. »Geh jetzt, Perry. Geh schnell und komm nie wieder. Ich bin nicht mehr deine Schwester. Ich bin etwas anderes geworden. Ich heiße Satanica. Merke dir den Namen. Satanica. Und jetzt geh mir aus den Augen.«
Eine letzte Warnung war das gewesen. Er wußte es. Aber er wollte sie nicht wahrhaben. Nein, das konnte und durfte nicht sein. So etwas war unmöglich, erst recht in seiner Familie.
»Geh!«
Wieder traf ihn der Klang der Stimme so hart. Aber Perry wollte nicht. Er hatte einen Punkt erreicht, bei dem er auf stur schaltete. Dazu mußte er über seinen eigenen Schatten springen, und das hatte er in diesem Fall getan.
Er war gekommen, um seine Schwester zu sehen und zu retten. Und er würde nicht ohne sie wieder gehen.
»Du kommst mit!« Der Satz war als Befehl ausgesprochen worden, und Debora kommentierte ihn mit einem harten Lachen. Es sagte ebensoviel aus wie Worte, denn sie würde einen Teufel tun und seinem Ratschlag folgen.
Oder?
Perry schaute zu, wie sich seine Schwester bewegte. Sie verlor ihre sitzende Haltung, raffte dabei das weite, grünbeige Kleid zusammen, damit der Stoff nicht mit den Kerzenflammen in Berührung kam. Sie beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Händen ab. Sie kniete auf dem Grab und vor ihrem Bruder, der sich aufgrund dieser Veränderung erleichtert zeigte.
Sie hatte doch noch Respekt vor ihm. Er war noch immer für sie der große Bruder. Er würde sie von diesem verdammten Grab wegholen und in den nächsten Tagen bei ihr bleiben. Er wollte wieder für sie sorgen, wie er es damals getan hatte, als beide noch Kinder gewesen waren.
Bis an die Kante des Grabs trat er heran. Er spürte den Druck an seinen Zehen und auch die Wärme der Kerzen. Perry wollte nicht, daß seine Schwester vor ihm kniete wie vor einem Heiligenbild. Deshalb streckte er ihr den rechten Arm entgegen und sagte: »Komm, Schwesterherz, ich helfe dir hoch!«
Debora zögerte noch.
»Bitte, Debbie…«
Sie tat es. Sie löste ihre rechte Hand, streckte ihren Arm aus, um die Hand fassen zu können. Sekunden danach berührten sich die Hände, die so unterschiedlich waren.
Die Hand der Frau war kalt, leicht ölig. So jedenfalls kam sie ihrem Bruder vor.
Er hielt sie fest, sehr fest. »Und jetzt komm bitte hoch. Dann wird alles gut werden…«
Er zog sie hoch. Debora leistete keinen Widerstand. Sie kam ihm entgegen, aber sie hatte eine Hand frei, und die bewegte sich blitzschnell. Nicht auf den Mann zu, ein anderes Ziel war wichtiger.
Das Messer!
Plötzlich hielt sie es fest, riß es hoch, als der Mann sie ebenfalls in die Höhe zog.
Alles war anders geworden. Nichts würde gut werden. In dieser einen Sekunde schoß Perry Brixton sehr viel durch den Kopf. Man hatte ihm prophezeit, daß er an seinem eigenen Blut ersticken würde.
Für eine nicht meßbare Zeitspanne erschien das grinsende Gesicht des Dealers vor seinen Augen. Es war wie ein Blitzstrahl, aber dieser Blitz war auch das Messer, dessen Klinge sich in seinen Leib bohrte. Er wußte es. Er hatte es mitbekommen. Er wartete auf den Schmerz, der ihn völlig zerfressen würde, der ihm das Leben nahm, der so brutal war.
Gegen den es kein Mittel gab.
Perry spürte nichts. Der Schock hielt ihn in seinen Klauen. Doch durch die Bauchwunde verließ ihn längst die Kraft.
Er war inzwischen arg geschwächt. Die Hand seiner Schwester konnte er nicht mehr halten. Sie rutschte ab, und der Gegendruck fehlte. Es war ihm nicht
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