Satanica
stoppte auch bald wieder.
»Soll ich dich tragen, Koko?«
»Nein.«
»Dann geh, verdammt!«
»Ich will dir was sagen, Brixton!« Perry hatte zunächst nicht auf die Worte hören wollen. Ihn hatte der Klang der Stimme allerdings mißtrauisch gemacht. Durch seine jahrelangen Erfahrungen als Streetworker war er es gewohnt, mit Menschen umzugehen. Er kannte sich mit ihnen aus und glaubte zu wissen, wann sie logen oder wann sie eine echte Botschaft mitzuteilen hatten.
Koko schien ihm wirklich etwas sagen zu wollen. Perry richtete sich darauf ein. Deshalb ging er auch um den Dealer herum und blieb vor ihm stehen. Er wollte auch sein Gesicht sehen, obwohl das in der Dunkelheit nicht so einfach war.
Koko sah eigentlich aus wie ein lieber Junge. Er trug ein harmloses Gesicht zur Schau, und gerade dieser Ausdruck hatte schon so manchen eingewickelt, weil man ihm nichts Böses zutraute.
Pustewangen, große Augen, ein rundes Kinn, eine Nase, deren knubbelige Spitze nach oben zeigte.
»Was hast du mir zu sagen?«
Koko spie aus. »Du wirst an deinem eigenen Blut ersticken, Brixton, und du wirst auch durch dein eigenes Blut getötet werden!«
Perry war sprachlos. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer derartigen Drohung. Er konnte auch nicht vermeiden, daß ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief und sich etwas in seinem Inneren verkrampfte.
Koko kicherte. »Jetzt bist du von der Rolle, wie?«
»Nein, bin ich nicht.«
»Doch, ich sehe es dir an!«
»Irrtum. Ich überlege nur, weshalb du mir diesen Mist einreden willst. Das ist es.«
»Wieso Mist? Es stimmt.« Koko hatte so heftig gesprochen, daß Speichel aus seinem Mund sprühte und einige Tropfen Perrys Gesicht benetzten. Der schüttelte sich. Er dachte noch immer über diese Drohung nach.
»Jetzt bis du fertig, wie?«
»Nein, bin ich nicht. Ich denke nur nach, wie du auf einen derartigen Mist kommst.«
»Das ist die Wahrheit.«
»Wer hat dir das gesagt? Woher weißt du, daß ich an meinem eigenen Blut ersticken werde?«
»Man wird dir die Kehle aufschneiden, Brixton, und ich weiß auch, wer dich killen wird.«
»Dann sag es.«
»Deine Schwester!«
Brixton schloß die Augen. Das war der zweite Schlag, der ihn erwischte.
Es stimmte. Er hatte eine Schwester. Sie hieß Debora. Aber der Kontakt zwischen den Geschwistern war längst abgebrochen, denn Debora war ihre eigenen Wege gegangen. Mit ihrer Familie hatte sie nichts, aber auch gar nichts zu tun haben wollen, denn sie interessierte sich für Dinge, an die andere Menschen nicht mal dachten. Und Perry wollte darüber auch nicht nachdenken.
»Warum sagst du denn nichts, Mr. Streetworker? Hat es dir die Sprache verschlagen?«
»Meine Schwester ist für mich gestorben.«
Die Antwort hatte Koko lustig gefunden, sonst hätte er nicht so gelacht.
»Gestorben?« fragte er dann. »Bist du denn irre? Sie ist nicht tot. Sie lebt.«
»Das weiß ich. Aber für mich ist sie gestorben.«
»Sie lebt sehr gut, sage ich dir. Sie ist die Königin der Friedhöfe.«
»Was ist sie?«
Koko wiederholte den Satz. Er grinste dabei wie jemand, der sich seiner Sache sicher war. Da stimmte ihm Brixton innerlich zu. Der Dealer kam herum. Er suchte die dunklen Orte auf, wo er nicht beobachtet werden konnte, wenn er seine Geschäfte tätigte. Dazu gehörten nicht nur die Hinterhöfe oder Toiletten in einschlägigen Lokalen, auch Friedhöfe zählten zu seinen bevorzugten Verkaufsplätzen. Deshalb war es nicht von der Hand zu weisen, daß er sich dort auskannte. Zudem gab es Dealer, die ihre heiße Waren dort lagerten.
Koko blies Perry seinen Atem ins Gesicht. Er stank nach Essig und Knoblauch. »Du kannst es dir ja überlegen, Streetworker.«
»Was denn?«
»Ob du deine Schwester sehen und begrüßen willst – oder nicht.«
Brixton versuchte, es lässig zu nehmen. »Und was solltest du dabei tun?«
»Eine Menge. Ich würde dich sogar zum Friedhof hinführen, wenn es dir genehm ist. Diese Nacht ist gut. Noch ist der Mund voll. Da wird sie unterwegs sein.«
»Wie heißt der Friedhof?«
Der Dealer lachte meckernd, als hätte er sich in eine Ziege verwandelt.
»Ich werde doch nicht so dumm sein und dir das sagen. Wir können einen Deal machen…«
Perry ahnte, was kam, trotzdem fragte er: »Welchen Deal meinst du?«
»Ganz einfach. Du läßt mich später wieder laufen, und die Sache ist erledigt.«
»Das dachte ich mir. Aber da irrst du dich. Ich werde dich nicht laufenlassen.«
»Und deine Schwester?«
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