Satanica
nichts.
Der Dealer war doppelt froh, das Versteck auf dem Friedhof aufgegeben zu haben. Für ihn gab es nur noch die Flucht. Und er würde auch den Wagen des Toten nehmen. Es fiel ihm nicht leicht, nach den Schlüsseln in den Taschen des Toten zu suchen. Was sein mußte, das mußte eben sein. Er beschmutzte seine Hände mit dem Blut, wischte sie auf dem leicht feuchten Boden wieder ab und hatte Glück, daß er den Autoschlüssel fand. Er würde den Wagen irgendwo stehenlassen und sich zu Fuß durchschlagen. Auf keinen Fall wollte er den Ford Capri behalten. Außerdem war es eine alte Kiste und total verrostet.
Obwohl der Weg zum Ausgang nicht weit war und er auch schnell lief, kam er ihm doch so verflucht lang vor. Keuchend hetzte der Dealer seinem Ziel entgegen. Immer von dem Gedanken geplagt, verfolgt zu werden und etwas Unheimliches im Nacken zu haben, das er leider nicht zu Gesicht bekam.
Endlich lag der Friedhof hinter ihm. Die letzten Schritte ließen ihn zittern.
Koko war froh, sich über das Dach des flachen Autos legen zu können.
Hier mußte er mal wieder zu Atem kommen und hörte sich keuchen wie eine alte Lok.
Irgendwann raffte er sich auf. Die Schlüssel hielt er noch immer in der Faust.
Koko schloß den Wagen auf. Er knallte die Tür zu. Der laute Schlag unterbrach die Stille der Nacht, doch das war ihm jetzt egal. Er hatte einfach nur ein normales Geräusch hören wollen.
Zielsicher fand er das Schloß und wunderte sich auch darüber, daß seine Hände nicht zitterten. Alles wird gut, dachte er. Alles muß gut werden. Zumindest für mich.
Er wollte den Stoff nicht in London an den Kunden bringen, sondern die Stadt verlassen und in einem anderen Ort dealen. An der Küste gab es genügend Junkies.
Koko fuhr an. Er mußte den Wagen drehen. Die Scheinwerferbahnen schwenkten mit. Sie erhellten die Umgebung, machten sie aber leichenhaft bleich. Wie das Jenseits, die Welt der Toten, denn so und nicht anders stellte er sich diese Zone vor.
Satanica war ihm nicht mehr begegnet. Auch sie hatte es vorgezogen, zu verschwinden. Eine Leiche war zurückgeblieben. Sogar ein passender Platz für einen Toten.
Koko kicherte. Geduckt hockte er vor dem Lenkrad und schlug einige Male mit den flachen Händen auf den Ring. Er war geflüchtet. Er war weggekommen. Der verdammte Friedhof konnte ihm gestohlen bleiben.
Alles konnte ihm gestohlen bleiben. London, seine Bude, die Kneipen, er würde sich aus dem Staub machen und untertauchen.
Nur weg!
Dieser Gedanke beschäftigte ihn pausenlos und beeinflußte auch seine Handlungen. Er fuhr schnell auf dieser engen Straße. Der alte Capri tanzte über Bodenwellen hinweg oder schlug schwer in Schlaglöcher hinein. Die Karosserie ächzte, aber sie hielt. Ebenso wie das Bodenblech, das oft genug über den Untergrund schrammte.
Später, auf der Schnellstraße, konnte er noch mehr aufs Tempo drücken. In den frühen Morgenstunden gab es in dieser Gegend kaum Verkehr. Der Friedhof blieb immer weiter hinter ihm zurück, und auch gedanklich beschäftigte er sich nicht mehr damit.
Er schaute nur nach vorn.
Weg von dieser Scholle. Hinein in ein neues Leben, in dem es ihm bessergehen würde. Sein Startkapital steckte in den Taschen der Jacke.
Damit würde er sich eine Weile über Wasser halten können, bevor er wieder daranging, alte Kontakte anzuknüpfen. Wenn Koko es genau betrachtete, sah es so mies für ihn nicht aus. Hätte er diesen Deal mit Perry Brixton nicht gemacht, wäre es ihm jetzt schlechter ergangen. Da hätte er gegen Fenstergitter und eine Knasttür gestarrt.
Das rote Licht irritierte ihn. Es schwamm vor ihm in der Luft und schwenkte auf und nieder. Der Dealer bewegte hektisch die Augen. Die Zunge fuhr aus dem Mund und befeuchtete die Lippen. Unwillkürlich ging er vom Gas, denn jetzt war ihm eingefallen, was dieses Schwenken zu bedeuten hatte.
Da standen die Bullen!
Verkehrskontrolle.
Scheiße auch!
Koko fuhr langsamer, obwohl er mit dem Gedanken gespielt hatte, Gas zu geben, um der Kontrolle zu entkommen. Es hätte keinen Sinn gehabt.
Da stand nicht nur ein Streifenwagen an der linken Seite, die Bullen waren mit großen Geschütz aufgefahren und trugen sogar die dicken, schußsicheren Westen unter ihrer normalen Kleidung.
Der Mann mit der Kelle trug eine gelbe Jacke mit Leuchtfarbe.
Er schwenkte sein Licht nicht mehr. Mit der freien Hand deutete er in eine kleine Bucht an der Seite, in die Koko den Capri lenken mußte. Er schwitzte. Er stank noch
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