Satans Erbe (German Edition)
abrutschten, bevor ich Halt fand. Ich stürzte und schlug mit den Knien auf. Die Zähne zusammenbeißend rappelte ich mich auf und rannte los. Ich übersprang ein paar Trümmerstücke, prallte in der Seitengasse, die eine Abkürzung zu meinem Zuhause war, gegen einen Mantelträger, der mir wütend mit seinem Stock drohte, und stand Atemwolken ausstoßend vor der Eingangstür zu unserem Wohnblock. Das entfernte Läuten einer Kirchenglocke drang an meine Ohren.
Um söß biste to Huus!
Ich grinste breit. Auf die Sekunde.
Ich stürmte in das Treppenhaus und rupfte einen Zettel aus unserem Briefkasten. Herbert & Julia Förster stand darauf. Simon fand ich nirgends, obwohl ich die Buchstaben meines Namens schon kannte. Ich machte einen Bogen um den alten Kriegsveteranen, wie mein Paps ihn nannte, was schwierig war, weil er stets an die abblätternde Wand gelehnt auf der untersten Treppenstufe saß. Ich hasste es, an dem Kerl vorbeizumüssen, kickte ihm wie immer den Hut vom Kopf und polterte johlend die ausgetretenen Stufen hinauf.
Mein Herz pochte, als ich den an meinem Hosenbund befestigten Schlüssel aus der Tasche zog und die Tür des Dachgeschosses aufschloss. Ich feixte. Dieses Mal hatte ich darauf geachtet, mit meinen nassen Schuhen nicht auf dem Linoleum auszurutschen und sie vor Betreten des Teppichs im Flur auszuziehen. Ich schlüpfte in meine Puschen.
»Mama, bin da!« Mein Hunger trieb mich in die Küche. Nach einem geschickten Sprung über meinen neuen Schulranzen hinweg erklomm ich den Hocker. Auf den beiden Herdplatten standen zwei leere Töpfe, doch der Tisch, den Papa gebeizt und gestrichen hatte, war nicht gedeckt. Ich zog eine Schnute.
»Mama, ik bin daha!«
Dicke Enttäuschung setzte sich in meinem Hals fest, während Herr Hunger mir in den Magen boxte. Ich stapfte in das angrenzende Wohnzimmer.
Mama lag in eine Wolldecke gewickelt auf dem Sofa. Es roch auch hier nicht nach Fleisch und ihrer leckeren Soße, sondern nach kaltem Rauch. Ich trampelte besonders laut bis zum Sofa, aber sie wachte nicht auf. Meine Hände schnellten vor. Ich wollte sie an den Schultern wachrütteln. Im letzten Moment hielt ich inne.
Vereinzelte braune Haare standen wie Antennen von ihrem fast kahlen Kopf ab. Einige lagen auf der Sofalehne, ich konnte sie kaum erkennen, weil beides die gleiche Farbe hatte. Den Schmerz in meinem Bauch ignorierend ging ich rückwärts, bis ich an den Wohnzimmertisch stieß. Die Sonne spähte durch die zugezogenen Gardinen und hinterließ weiße Streifen auf Mamas blassem Gesicht.
Mien Jung, hör zu. Mama is krank. Nimm Rücksicht, hörst du? »Ja, Papa«, flüsterte ich, als stünde Paps hinter mir.
Ich drehte mich zum Fernseher und ließ mich auf den dicken Teppich fallen. Ein Blitz durchfuhr meine Knie. Ich würgte den Aufschrei mit der einen Hand ab, während die andere versuchte, den Schmerz plattzudrücken. Vorsichtig hob ich die Hand. Die Schürfwunde vom Mauersturz hatte ich völlig vergessen. Baustaub und Steinchen sammelten sich darin. Tapfer pulte ich ein wenig herum, bis es mir zu langweilig wurde. Ich rutschte zu der Flimmerkiste und hinterließ eine dünne Blutspur auf dem Blumenmuster des Teppichs.
Das ist unser neuer Fernseher. Papa war stolz wie Oskar, als er ihn mit nach Hause gebracht hatte. Papa kam immer samstags und fuhr wieder am Sonntag. Er war ein berühmter Kirchenbauer und Restaurator. Ich wusste nicht, was das war, aber Papa war der Größte und alle wollten, dass er für sie arbeitete, deshalb war er viel unterwegs.
Aus diesem Kasten konnten Menschen und Tiere auf mich her-
absehen und zu mir sprechen, das machte Spaß. Doch wenn die Nachbarn vorbeikamen, um sich um das Ding zu versammeln, musste ich mich in die Ecke verkrümeln. Dann häuften sich Gläser auf dem Wohnzimmertisch und Mama holte eine hellblaue Packung hervor, in der leckere Schokoladenkugeln lagen. Jetzt stand nur ein Aschenbecher auf dem Tisch.
Ich stellte den Fernseher leise. Doof war ich ja nicht. Ich wollte allein gucken und mich an Papas Anweisung halten, auf Mama Rücksicht zu nehmen. Eine schwarze Katze blickte in einen Kasten, der aussah wie unserer, in dem eine andere Katze mit Halstuch und geschminkten Lippen saß. Ich war verwirrt und wütend zugleich, als das Bild verschwamm. Ich streckte mich aus und drehte an einem Knopf. Das Bild erschien wieder. Eine Frau in einem Kleid sang in einen Stab mit einer Kugel und schien mich direkt anzulachen.
Ich sah zum Fenster und gähnte.
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