Satans Erbe (German Edition)
hier saß und flennte, bis ich hätte kotzen können.
Flennte ich etwa?
Sie war die Erste, die wie selbstverständlich auf mich zukam. Sie blickte mich an, dessen war ich mir sicher, ohne ihr Gesicht zu sehen. Mir war, als würde sie mich lähmen. Ich rutschte in eine Sitz-Hockposition und faltete die Hände. Bestimmt würde sie nun vorbei zu dem Kerl gehen und mich gar nicht beachten.
»Hallo, kleiner Mann.«
Ich presste die Lippen aufeinander und betrachtete den Fußboden, auf dem der Staub Skizzen formte.
»Ich heiße Emma. Hast du Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«
»Was?« Ich hatte eigentlich vorgehabt, nichts zu sagen, mich stumm oder bekloppt zu stellen. Solche gab es nach dem Krieg ja genug. Bei den Alten, die mir ständig durch die Haare wuschelten oder mir in die Wange kniffen, klappte das. Die Schwarze, wie ich sie in Gedanken nannte, setzte sich einfach neben mich und nicht nur das, sie legte ihre behandschuhte Hand auf meine gefalteten.
»Ich wäre erfreut, wenn wir uns unterhalten könnten. Was machst du hier, so allein?« Ihre Stimme klang, als hätte sie einen Papagei verschluckt.
Nicht weit von hier war ein Geschäft, das lebende Tiere verkaufte. Ich durfte nicht mehr dorthin, weil ich einige mit nach draußen genommen hatte, zum Spielen. Das Krächzen des Vogels, der mir ganz schlimm ins Handgelenk gehackt hatte, war mir in Erinnerung geblieben.
»Ich rede nicht mit Fremden!«
Ihre Finger zuckten auf meinen, aber sie nahm die Hand nicht fort. Wie konnte ich die Schreckschraube davon überzeugen, dass ich allein sein und nicht von ihr begrapscht werden wollte? Ich blickte auf, direkt in ihr verschleiertes Gesicht. Ich wollte allein sein, ihr die Meinung sagen und dass ich einen Teufel tun würde, aber mich nicht mit ihr unterhalten … doch ich starrte sie nur an und mein Körper begann zu kribbeln. Mir war schlecht und ich musste die Milch vom Frühstück hinunterschlucken. Sie war sauer. Ich zog meine Hände weg und rutschte zur Seite. Ich durfte die Kirche ja nicht verlassen, obwohl die Wände sich unaufhörlich auf mich zuschoben. Das wurde mir alles viel zu eng.
»Hast du kein Zuhause?«
Ich fiel nicht darauf herein und biss mir auf die Lippe.
»Ich könnte dich mit zu mir nehmen.«
Was? Die Alte hatte doch nicht alle Tassen im Schrank.
»Weißt du, seit mein Mann im Krieg gestorben ist und jetzt meine kleine … kleine Julia …«
Den Rest bekam ich nicht mehr mit. Mama, Mama, hämmerte es in meinem Schädel. Die Kirche, Wände, Skulpturen drehten sich um mich. Warten sollte ich … ich wartete. Hunger, Tod und … und … Ich blickte der Witwe ins Gesicht und riss ihr den Schleier vom Kopf.
Sie schrie. Ich starrte sie nur an. Meine Augen brannten. Ich war überzeugt, dass es keine Tränen waren, sondern tödliche Strahlen, die die Alte vernichten würden. Sie schlug sich beide Handschuhe vor den geöffneten Mund. Ihr Schrei verebbte nur langsam in der hohen Halle. Ihre Augen waren gerötet, ihre Haut rissig und grobporig. Ihre Nase lugte spitz hervor.
Ich riss einen Arm hoch und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Mann, den sie ans Kreuz genagelt hatten. Ich atmete durch, sah den Schrecken in ihren Augen – ein wenig Hoffnung, doch viel mehr tief sitzende Trauer. Sie war eklig und erbärmlich. Ich flüsterte so sauber wie der Schnitt eines Diamanten auf Glas: »ER hat mir auch nicht geholfen!«
Sie sprang wimmernd auf, verhedderte sich in ihrem langen Gewand, fiel, raffte sich auf und stolperte schluchzend aus der Kirche.
Ich grinste, hopste von der Bank, hüpfte durch den Gang und schob die Gesangbücher vor mir her, bis sie polternd im Staub landeten.
Stolz marschierte ich aus dem verhassten Dom hinaus.
15.
Psychiatrische Privatklinik
»Sanatorium Hardegg«
Interlaken, Schweiz
25. Oktober 2008
S ibylle klopfte an Elisas Tür und betrat den Raum. Sie hatte in der letzten Nacht beschlossen, Elisa zu behandeln, als wären Gespräche mit ihr alltäglich. Um alles in der Welt wollte sie verhindern, dass Elisa in ihre Lethargie zurückfiel, und erreichen, dass die junge Frau einer Therapie zustimmte. Wenn dabei ihre Vergangenheit zutage käme und bewältigt werden könnte, stünde ihr vielleicht ein normales Leben bevor.
Eine Familie, Glück, Zufriedenheit.
Nichts wünschte sie sich so sehr wie die Genesung ihres Sorgenkindes. Sibylle trat an das Bett und ergriff ihre Hand.
»Guten Morgen, Elisa. Wie geht es dir?«
Elisa blinzelte und sah
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