Satans Erbe (German Edition)
ließ die Schnallen einschnappen. Den Kampf hatte ich gewonnen. Ich warf mich in voller Montur auf die Schlafcouch und wartete. Gerüchten und vor allem Vaters Getue in der letzten Zeit zufolge waren die Tage in Berlin gezählt. Ich irrte mich nicht. Da war die Bestätigung der Wohnungskündigung, die heute früh im Hausflur lag, schon reichlich überflüssig.
Es machte mir nichts aus, hier wegzukommen. Okay, Berlin war aufregend und am Anfang schien es auch gut zu laufen, doch die kleinen Wichser aus meiner Schule verstanden einfach nicht, worauf es bei einer geheimen Vereinigung ankam. Sie engagierten sich nicht, bildeten sich nicht, halfen nicht, dafür ekelten sie sich und verpfiffen mich bei den Lehrern. Das mit der Sekte hatte sich so ergeben, als anfangs fast alle in der Klasse zu mir aufsahen und mich als den Ältesten sogleich als Wortführer akzeptierten. Gerade die Mädchen lauschten fasziniert meinen Geschichten aus fremden Ländern und von satanischen Mutproben. Ich grinste.
Vaters Unterschrift beherrschte ich inzwischen. Der Schulleiter erhielt den Verweis am nächsten Tag unterschrieben zurück. Ich steckte meinen Mitschülern, dass mein Vater für die Stasi arbeitete, und die Verräter hielten ab dem Tag ihr dreckiges Maul.
»Simon? Bist du da?«
Ich setzte mich und meinen störrischen Blick auf.
Vater stiefelte über die knarrenden Bodendielen und spähte durch die offene Tür in mein Zimmer.
»Oh«, machte er, als er den gepackten Koffer sah. Und nochmals: »Oh!«
Sein Haar war in diesem Jahr grau geworden. Die Fertigstellung der Sankt-Hedwigs-Kathedrale hatte die letzte Farbe aus ihm herausgepresst. Seine Überstunden schenkten mir jede Menge Freizeit. Und trotzdem besaß ich immer noch keinen eigenen Fernseher.
Mein Vater erzählte übertrieben munter, warum, weshalb und wohin die Reise nun ging. Ich blieb sitzen. Ich hörte ihn auch so, die Wohnung war ja klein genug. Zuhören tat ich deshalb noch lange nicht.
Infolgedessen war ich ziemlich schockiert, als wir nach zwei Tagen Zug- und Bus-Umsteigerei vor einem Fachwerkhaus standen. Dicke braune Balken zogen sich durch den weißen Putz. So weit, so gut. Zumindest kein mickriges Drecksloch. Ich drehte mich träge im Kreis: Wiesen, Bäume, Blumen, entfernte Berge und als i-Tüpfelchen, einige graubraune Kühe. »Das ist nicht dein Ernst!«
Ich hatte die letzten Stunden geschlafen, weil es mir egal war, wohin es mich führte. Doch nun wäre ich sofort aus dem Fahrzeug gesprungen und nach Berlin zurückgelaufen. Ich wusste, wie man überlebte, auch allein.
Mein Vater ging nicht auf mich ein. Er hob einen Blumenkübel vor dem Eingang an, holte einen Schlüssel hervor und sperrte auf.
Ich schüttelte den Kopf. Hinterwäldler! Wer deckte sein Dach schon mit Gras? Sicherlich regnete es wieder einmal mir ins Bett.
Es überraschte mich, wie gemütlich das Haus von innen eingerichtet war. Das dunkle Holz der Balken fand sich in den Möbeln wieder, die jede Ecke ausfüllten. Sogar der Fernseher und die Heizung waren verkleidet.
Mein Vater stürmte durch die Zimmer und stieß Begeisterungsrufe aus. Ich schaltete den Flimmerkasten ein, warf mich auf das Doppelsofa, streifte meine Schuhe ab und kümmerte mich weder um die Lehmbrocken, die den feinen Teppich zierten noch um meinen Alten, der ausräumte, Essen kochte und sich dann beleidigt schlafen legte. Er hatte es nicht besser verdient. Mich einfach aus Berlin rauszureißen und in ein Nest voller Kühe zu entführen.
Ich schaufelte die Bratkartoffeln in mich hinein, während der Film Kleider machen Leute mich einerseits langweilte, andererseits anzog. Auch als ich mich in mein Zimmer begab und mich unter die dicke Decke kuschelte, ließ mich der Titel nicht los.
Die nächsten Wochen verliefen schleppend. Mit den Babys in meiner sechsten Klasse konnte ich nichts anfangen. Sie spielten noch mit Autos oder im Heu auf den Bauernhöfen ihrer Eltern. Die Älteren verließen das Kuhkaff auf schnellstem Wege. Von der Musik, die aus dem Radio schepperte, bekam ich Hautausschlag und von den Trachten ebenso. Von den Einwohnern hatte ich bald die Schnauze gestrichen voll – was auf Gegenseitigkeit beruhte. In den umliegenden Dörfern herrschte tote Hose – nur Bauern, Kleinkinder und Viehzeug. Das einzig Interessante, was ich nach fast einem halben Jahr totaler Eintönigkeit fand, war die einige Kilometer entfernte Burgruine Wertheim.
Ich durchstreifte den tiefen Graben und buddelte allerhand Schätze
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